Fiktion statt Fakt: Fischen in der trüben Ehec-Suppe

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Seit bald zwei Monaten lebt Deutschland jetzt mit seiner neuen Seuche, und man schämt sich fast ein bisschen. Zum einen, weil der Durchfallkeim mittlerweile auch die Franzosen auf Trab hält und schon als typisch deutsch gilt , zumindest in der New York Times ("German E.Coli Sickens 8 in France"), dabei kommt das mutmaßlich kontaminierte Saatgut nach derzeitigem Stand wohl aus England – ein Keim mit Migrationshintergrund also, aber ganz genau weiß man es halt noch nicht.

Das Nichtwissen ist überhaupt ein Problem: Obwohl die Zahl der Neuerkrankungen stetig sinkt (zuletzt wurden über einen Zeitraum von drei Tagen 96 neue Fälle gemeldet) und der Gurkenverkauf wieder anzieht, bleibt ein mulmiges Gefühl, denn der "besonders aggressive" Keim könnte ja klammheimlich Dinge tun, auf die bislang noch niemand gekommen ist. Man gewinnt jedenfalls den Eindruck, der Erreger habe sogar Hände und Beine. Oder: Schwimmflossen.

Man darf sich nicht darüber lustig machen, wenn Menschen Angst haben, aber die im aktuellen Spiegel prognostizierte Verseuchung deutschen Trinkwassers, die noch vor Erscheinen des Heftes von der angeblichen Informationsquelle höchstselbst, dem Umweltbundesamt, als Unsinn abgetan wurde, entbehrt nicht einer absurden Komik. "So ist es wahrscheinlich nur eine Frage, bis sich jemand beim Baden ansteckt", fantasieren die Autoren und man fragt sich umvermittelt, warum der einmalige (!) Fund des besagten Bakteriums in einem Frankfurter Bach noch nicht zu der Mutmaßung geführt hat, dass ausgerechnet das Händewaschen vor der Zubereitung von Salat die Welle von Infektionen befördert hat.

Wenn der Erreger nicht massenhaft ins Wasser gespült und das Gewässer auch nicht auf stetig mehr als 20 Grad Celsius erwärmt wird, ist der Seuchenzug aus dem Wasserhahn wenig realistisch. Aber noch ist ja auch unbekannt, woher genau das hässliche Viech gekommen ist. Die Spekulation über die Entstehung des Bakteriums Ehec O104:H4 erstreckt sich mittlerweile über mehrere Felder, was auch mit der (just in Lancet Infectiology publizierten) Genetik des neuen Erregers zusammenhängt, die vor allem für die Front der Tieraktivisten eine herbe Enttäuschung bereithielt.

Denn obwohl es natürlich nahe liegt, die Massentierhaltung als Brutstätte des fiesen Coli-Keims verantwortlich zu machen – der kaum weniger fürchtenswerte O157:H7 stammt vermutlich aus einem Kuhbauch, wo Colis, andere Bakterien und Viren fröhlichen Gentransfer betreiben – und obwohl genau das den von Anständig essen-Autorin Karen Duve angeführten Fleischhassern der Nation doch so schön ins Konzept passt, weil alles Übel dieser Welt vom Tierverzehr rühren muss: Der Keim ist genetisch betrachtet zu 97 Prozent quasi-menschlichen Ursprungs.

Schon Anfang Juni hatte man erkannt, dass der wesentliche Teil des Erregers einem in Menschen beheimateten enteroaggregativen E.Coli entspricht. Mit Einschlägen von Ehec und auch ein bisschen Salmonelle, plus Antibiotikaresistenzen. Was die Massentierhaltungsoption zwar nicht ausschließt, aber genau so bedeuten kann, dass der German Angst-Coli in irgendeinem Krankenhaus ausgebrütet wurde.

Karen Duve hat davon entweder noch nie was gehört oder diese Information am Montagabend auf dem Podium des Freitag-Salons absichtlich unterschlagen, um immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Menschen kein Fleisch essen aber Bio kaufen sollen, quasi als Rundumlösung für alle Ernährungsprobleme dieser Welt. Dass die Massenbiogemüsehaltung wie auch die Bioeier-Produktion keinesfalls anständiger sein muss als die konventionelle Variante, passt eben nicht ins Glaubenskonzept.

Und so mäandern die Behauptungen durchs trübe Gewässer der Indizien, bis keiner mehr durchblickt, aber jeder die Lösung kennt. Darauf einen Schluck Wasser!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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