Nicht immer nehmen Außerirdische in Science-Fiction-Filmen menschliche Gestalt an, doch das Selbstbild als Vorlage ist trotzdem so beliebt wie die Vorstellung, dass die Vertreter extraterrestrischer Zivilisationen bestimmt viel schlauer sind als irdische Zweibeiner. Was sich nicht erst in den erstaunlichen Fähigkeiten der Besucher äußern muss, sondern oft schon in der auffälligen, weil disproportionierten Form ihres Schädels offenkundig wird: Ein übergroßer Hinterkopf, haarlos in der Regel und seltsam nach hintern gestreckt, weist auf einen besonders großen Denkapparat, ergo auf eine besonders ausgeprägte Intelligenz hin – in etwa das, was sich der Mensch wohl für die Zukunft seiner eigenen Spezies vorstellt, wohl wissend, dass seine Denkleistung noch Lücken hat. Aber wird sich in den kommenden Jahrtausenden wirklich noch was tun unter der menschlichen Schädeldecke?
Der Gedanke, dass ein größeres Gehirn mit mehr Nervenzellen auch mehr Denkleistung ermöglicht, erscheint prinzipiell plausibel. Und dass Grips etwas mit Größe zu tun hat, ist im Fall Homo sapiens tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Im Zuge der Evolution hat erst der dramatische Zuwachs an Hirn-Volumen die Entwicklung jener geistigen Fähigkeiten ermöglicht, auf denen die besondere Stellung des Menschen unter den irdischen Lebensformen heute gründet: Innerhalb von nur zwei Millionen Jahren schwoll das Gehirn der Gattung Homo von 600 Kubikzentimeter bei Homo habilis auf knapp das Doppelte beim frühen Homo sapiens an, um in den vergangenen 250.000 Jahren noch einmal zuzulegen, auf etwa 1.350 Kubikzentimeter beim modernen Homo sapiens. (Vorübergehend übertroffen vom Neandertaler mit 1.500 Kubikzentimeter, was den engen Verwandten nicht vorm Aussterben bewahrte.) Mit Blick auf die Zukunft stünde der Fortsetzung dieser Entwicklung nun scheinbar bloß ein verteufelt schmaler Geburtskanal entgegen, aber selbst wenn die Evolution auch für dieses Problem eine Lösung generierte: Das Hirn des Menschen wird nicht durch noch mehr Fülle schlauer. Das ergibt sich allein daraus, dass bereits das mickrige Hirn einer Taufliege über Langzeitgedächtnis und Lernvermögen verfügt, während Tiere mit Zehnkilo-Denkapparaten wie etwa Wale wahrscheinlich keine komplexeren kognitiven Leistungen vollbringen als der gemeine Haushund.
Mehr bringt also nicht zwangsläufig mehr. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass mit der Größe des Gehirns auch die Wege der Signale länger werden: Nervenzellen können Impulse entweder elektrisch über ihre Fortsätze weiterleiten oder chemisch an andere Nervenzellen übergeben. Die elektrische Leitung ist schneller, aber je länger die Fortsätze der Neuronen werden, desto schwächer und langsamer wird der Impuls. Nimmt die Zahl der Neuronen zu, werden die Signale zugleich über mehr chemische Kontaktstellen, die Synapsen, vermittelt. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch eine enorme Menge Energie, die jeden Rohpflanzenfresser bald an die Grenzen seiner Nahrungsaufnahmefähigkeit führt.
Beim Menschen wurde das letztgenannte Problem auf noch nicht ganz geklärte Weise gelöst. Eine wichtige Rolle dürften der Verzehr von Fleisch und die Zubereitung von Nahrung mithilfe von Feuer gewesen sein. In Säugetiergehirnen lassen sich allerdings noch zahlreiche weitere Strategien erkennen, die mögliche Funktionsverluste infolge der Ausdehnung kompensieren: zum einen die Spezialisierung von Nervenzellen, die zur Bildung funktioneller Gruppen von Neuronen führte und damit die Notwendigkeit von Verschaltungen verringerte. Zum anderen haben Forscher um Jon Kaas an der Vanderbilt-Universität in Nashville ausgerechnet in Primatengehirnen eine Besonderheit entdeckt: Generell vergrößert sich mit der Zunahme von Nervenzellen, beispielsweise in Nagetieren, vor allem das Volumen der weißen Substanz (sie enthält die Nervenfortsätze). Mit dem Ergebnis, dass ein doppelt so großes Gehirn weit weniger als doppelt so viele Nervenzellen enthält, die einzelne Nervenzelle also selbst auch größer wird.
Ein struktureller Trick
In Affengehirnen zunehmenden Umfangs fanden Kaas und seine Kollegen dagegen kein verändertes Verhältnis zwischen der Masse weißer Substanz und der Masse grauer Substanz, in der die Zellkörper liegen. Die Zahl der Neuronen nimmt deshalb stärker zu als bei anderen Spezies, die Dichte der Nervenzellen bleibt erhalten, und mit ihr auch die Funktionalität. Nach Kaas’ Berechnungen ist es sehr wahrscheinlich, dass auch das menschliche Gehirn ein Ergebnis dieser für Primaten typischen Verdichtung ist – ein struktureller Trick, der sich unabhängig davon auch in Vögeln entfaltet haben und insbesondere die überraschend hohe Intelligenz von Rabenvögeln erklären könnte (Siehe S. 18). Das mutmaßt auch der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth: „Vögel haben generell kleinere Zellen als Säugetiere, und zusammen mit der höheren Packdichte könnte das in einer sehr hohen Zahl an Nervenzellen auf vergleichbar kleinem Raum resultieren.“ Was Roth allerdings nicht glaubt, ist, dass die absolute Zahl an Nervenzellen allein das schlaue Hirn ausmacht. „Von allen Eigenschaften des Gehirns korreliert die Zahl von kortikalen Nervenzellen, kombiniert mit einer hohen Leitungsgeschwindigkeit, am besten mit dem, was wir Intelligenz nennen“, schreibt Roth in einem vielbeachteten Paper, das 2005 in Trends in Cognitive Sciences erschien.
Wenn nun aber ein größere Zahl von Nervenzellen in einem größeren Gehirn die Leitungsgeschwindigkeit verringert, mal völlig abgesehen vom enormen Energieverbrauch, gäbe es eigentlich nur noch die Aussicht, dass die Nervenzellen im menschlichen Gehirn entweder deutlich schneller werden oder so klein, dass einfach mehr davon unter die Schädeldecke passen – ähnlich also wie Roth es bei Rabenvögeln vermutet. Doch wie zu erwarten, würde diese Komprimierung im menschlichen Gehirn ganz neue Probleme aufwerfen: Je kleiner nämlich die Nervenfortsätze oder -zellen sind, desto schlechter ist die Weiterleitung von Signalen auch zu kontrollieren. Sie feuern mehr oder minder zufällig statt konzertiert. Im neuronalen Netzwerk verursachen solche zufälligen Signale ein Rauschen, das wiederum die Leistungsfähigkeit insgesamt einschränkt. Miniaturisierung ist daher wohl auch keine Lösung.
Hoffnungsfrohes können immerhin Genetiker verkünden: Seth Grand vom Wellcome Trust Sanger Institute im britischen Cambridge hat gezeigt, dass Synapsen ein bisher unerkanntes Potenzial bergen. Diese Kontakte zwischen Nervenzellen wirken nicht nur als Übergabestellen, sondern als wichtige Prozessoren im Gehirn, die fürs Lernen und das Gedächtnis unentbehrlich sind. Dachte man bislang, dass sie vom Wurm bis hin zum Primaten relativ gleich aufgebaut sind, konstatierte Grand mit seinem Team überraschend das Gegenteil: „Wir haben dramatische Unterschiede in der Zahl der Proteine gefunden, die bei unterschiedlichen Spezies an den Nervenverbindungen beteiligt sind.“ Säugetiere haben demnach doppelt soviele Eiweiße, die an der synaptischen Verarbeitung und Weiterleitung beteiligt sind.
Ob das reicht, um dem menschlichen Gehirn noch etwas auf die Sprünge zu helfen, wird sich allerdings erst in einer fernen Zukunft zeigen. Bis dahin kann der Blick auf manche Insekten lehren: Ameisen und Bienen etwa haben etwas aus ihren Fliegenhirnen gemacht. Sie nutzen sie im Schwarm schon jetzt.
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