Handys, Krebs und Knöchel

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Syndesmose ist kaputt. Ein kleines, flächiges Stück Bindegewebe, das die Unterschenkelknochen am Sprunggelenk verbindet, aber nicht einmal Teil des echten Gelenks ist, sondern so eine Art zähes Klebeband zwischen den Knochen, das wirklich nur unter extremen Belastungen reißt. Es verdammt den Kapitän der deutschen Nationalelf jetzt zum Gipstragen und Zuschauen, weil der Halbbruder eines anderen deutschen Nationalspielers, der wiederum in einem anderen Nationalteam – beim Vorrundengegner Ghana - an der WM teilnehmen wird, Michael Ballack aufs Sprunggelenk getreten ist. Ein gutes Beispiel für einen klaren Kausalzusammenhang, weil durch Beobachtung und nachfolgende Schadensbegutachtung im Magnetresonanztomografen nachvollziehbar. Tritt, Riss und Aus. Dafür braucht man keine Wissenschaft.

Viel schwieriger ist das mit den Mobiltelefonen und dem Krebs. Da wissen selbst Forscher nach mehr als zehn Jahren und diversen großen Studien noch immer nicht so genau, ob zwischen Handys - beziehungsweise deren Strahlung - und Hirntumoren nun ein Kausalzusammenhang besteht. Gerade eben ist schon wieder so ein Papier erschienen, das zu keinem klaren Resultat kommt. Kurz gefasst haben mehr als 10.000 Menschen an der sogenannten Interphone-Studie teilgenommen, mehr als 5.000 Krebsfälle waren dabei. Dazu passend wurden gesunde Kontrollen ausgesucht. Die Teilnehmer füllten Fragebogen zu ihrem Telefonierverhalten mit dem Handy aus. Das Ergebnis lautet wie so oft: Vermutlich gibt es keinen Zusammenhang. Dort, wo man einen sieht, sind sich die Forscher nicht sicher. Resümee: "Biases and errors prevent a causal interpretation"

Das Bedauerliche - insbesondere an retrospektiven (rückblickenden) - epidemiologischen Studien ist eben, dass man Ursache und Wirkung nicht direkt beobachten kann, weil das Ereignis, wenn, dann in der Vergangenheit liegt oder sich einer direkten Beobachtung entzieht (ganz im Gegensatz zum Tritt von Kevin-Prince auf Ballacks Knöchel). Oder beides. Deshalb macht man diese Studien ja auch. Aber man braucht dann schon klare, starke Zusammenhänge, die sich deutlich von anderen Wirkungen und Ursachen abgrenzen und auch im Rückblick noch herausragen. Gutes Beispiel: Lungenkrebs und Rauchen. Menschen, die nie rauchen, haben ein massiv niedrigeres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, als Raucher. Ob prospektiv oder retrospektiv gesehen, daran besteht kein Zweifel.

Aber was, wenn der mutmaßliche Effekt sehr schwach bis nicht vorhanden ist? Dann kommt es zu Ergebnissen wie in den Handystudien oder in Untersuchungen wie der EPIC-Studie, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheiten analysiert. Massen von Daten bringen widersprüchliche Ergebnisse hervor, die um den Nulleffekt herum pendeln. Was für den Verstand nicht fassbar ist, muss daher in statistische Hilfsparameter übersetzt werden. Dann heißt es, das Ergebnis sei schwach, aber statistisch "signifikant", also kein Zufall.

Im aktuellen Fall soll das für Menschen gelten, die im Durchschnitt eine halbe Stunde täglich mobil telefonieren: Sie haben ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko, an einem Gliom zu erkranken, als Menschen, die eher selten ein Handy benutzen. Das heißt in absoluten Zahlen: Statt etwa sechs von 100.000 erkranken gut acht Menschen im Jahr an einem Gliom. Interessant ist, dass Menschen, die durchschnittlich etwas weniger als 30 Minuten am Tag telefonieren, laut Studie ein um dreißig Prozent niedrigeres Risiko haben.

Diese einleuchtenden Resultate soll nun noch eine richtig (!) große Erhebung mit einer Viertelmillion Teilnehmern untermauern. Es wird also weiterhin Geld in den Nachweis eines Effektes gepumpt, der nach allen reichlich vorhandenen Erkenntnissen wenn überhaupt, dann so gering ist, dass auch ohne statistische Zufallswahrscheinlichkeit beliebige Ergebnisse herauskommen. Allein die aktuelle Studie mit 10 000 Teilnehmern hat übrigens fast 20 Millionen Euro gekostet.

Letztlich wäre dann doch interessanter, zumal genau so gut zu bestimmen, ob und wie der eindeutig kausal mit einem Foul zusammenhängende Verlust des Mannschaftskapitäns eventuelle kausal mit dem Abschneiden der Nationalelf in Südafrika zusammenhängen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden