Lieber Freitag-Leser, eigentlich sollte es hier, in dieser Woche, um Ironie gehen. Ironie und Wissenschaft gehören sicher nicht zusammen, da die erste einem bedeutet, absichtsvoll das Gegenteil von Wahrheit zu artikulieren, und die zweite zum Ziel haben muss, eine noch unbekannte Wahrheit zu finden und treu darzustellen. Ironisch über Wissenschaft zu sprechen, ist im Grunde also ganz unmöglich.
Sinnvoller ist es daher, sich dem Käse zuzuwenden. Käse ist ja gerade in der modernen deutschen Esskultur ein völlig unterbewertetes Lebensmittel, und die Käseforschung ein kaum minder unterschätzter Zweig der hiesigen Ernährungswissenschaft. Und das, obwohl es kaum noch einen Teller gibt, auf dem nicht Käse wäre: geschmolzen, geschmiert, geraspelt, gewürfelt, geschnitten, gebräunt. Zwei Millionen Tonnen Käse werden in Deutschland jährlich hergestellt, kein anderes Land exportiert mehr Käse. Aber darüber, wie der Käse dann auf all den wertvollen Fertigpizzen, Cheeseburgern und Käsesnacks bräunt oder schmilzt oder fließt, ist kaum etwas bekannt. Tatsächlich: Ausgerechnet im Käseland weiß niemand wirklich über Käse und seine „hochkomplexen“ Eigenschaften Bescheid!
Glücklicherweise hat die Uni Hohenheim diese kapitale Leerstelle in der nationalen Forschungslandschaft jetzt erkannt und kündigt an, sich den physikalischen, biochemischen und thermischen Eigenschaften des Käses endlich einmal konzentriert zu widmen. Das Projekt „Thermophysik des Käses“ wird einer ausführlichen Pressemitteilung zufolge untersuchen, wie sich Käse noch vielseitiger, gezielter und damit auch zufriedenstellender in der Lebensmittelindustrie einsetzen lässt.
Durchoptimiert und günstig
Insbesondere in der „Vorbehandlung“ der Milch und im „zehnstufigen Verkäsungsprozess“ vermutet man noch „Stellschrauben“, an denen zu drehen endlich dazu führen könnte, dass der Käse „nicht vom Cheeseburger tropft“. Wobei sich die Dringlichkeit dieser Forschung kaum aus der finanziellen Förderung erschließt: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie spendiert den engagierten Hohenheimern über seinen Forschungskreis Ernährungsindustrie e.V. mehr als eine Viertelmillion Euro für den Käse – welcher damit als wissenschaftliches „Schwergewicht“ an der Uni Hohenheim reüssiert.
Wie nachhaltig das alles gedacht ist, offenbart sich aber erst feldübergreifend, um nicht zu sagen „interdisziplinär“: Wenn all die leckeren Käseprodukte erst einmal gründlich durchoptimiert und noch günstiger zu kaufen sind, profitiert nämlich auch ein anderer starker Zweig der Hohenheimer Ernährungsforschung von dem Projekt, und zwar der, in dem es um die sogenannte „gesunde“ Ernährung geht. Übergewicht ist ja inzwischen ein schlimmes Problem in Deutschland, gerade in sozial schwächeren Bevölkerungsschichten und vor allem bei Kindern. Über die Ursachen (Computerspiele? Fernsehen?) ist man sich noch nicht ganz einig, es könnte aber auch etwas mit industriellem Fertigfutter zu tun haben. Die Forschung hat da auch schon eine gewagte These im Köcher: „Arme Familien kaufen minderqualitative, aber energiereiche Nahrungsmittel“, das hat der Hohenheimer Ernährungswissenschaftler Hans Konrad Biesalski vor einiger Zeit mal in der Welt postuliert. Aber was gibt den Ausschlag? Armut, Qualität, Energie? Genau hier könnte die Thermophysik neue Hinweise liefern: Wenn energiereicher Käse nämlich nicht mehr vom Cheeseburger kleckert, aber billig bleibt, ist der Minderqualität schon mal der Nährboden entzogen. Blieben eigentlich nur Energie – und Armut.
Ein Schelm, wer das ironisch findet.
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