HIV: Wer hat wen angesteckt? Oder: Was nicht im Viruserbgut steht

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Heute hat der Prozess im Fall Nadja Benaissa begonnen. Die Sängerin soll ungeschützen Sex mit mehrern Männern gehabt haben, obwohl sie von ihrer Infektion mit dem Aids-Erreger wusste. Einer dieser Männer ist seither ebenfalls HIV-positiv, und will sich bei ihr angesteckt haben. Bereits im vergangenen Jahr wurde vollmundig ein Gutachten angekündigt , das alle Zweifel an seiner Aussage ausräumt: Es soll klären, ob die No-Angels-Sängerin tatsächlich diejenige gewesen ist, die ihren Ex-Liebhaber vor sechs Jahren angesteckt hat. Aber geht das überhaupt?

Dazu jetzt mal ein klares Wort, nachdem zu dieser Frage bereits recht widersprüchliche Aussagen flottieren: Es ist definitiv nicht möglich, eine Übertragung von HIV zwischen zwei Personen A und B mit 100-prozentiger Sicherheit nachzuweisen, jedenfalls nicht durch immunologische Methoden, und auch nicht durch eine direkte Sequenzierung des viralen Erbguts. Sowohl der HIV-Experte Martin Stürmer von der Universität in Frankfurt am Main, als auch seine Kollegin Claudia Kücherer vom Robert-Koch-Institut in Berlin haben eine solche eindeutige molekularbiologische Beweisführung auf Anfrage des Freitag ausgeschlossen. Beide arbeiten täglich mit diesen Verfahren.

HIV verändert sich nun einmal derart schnell, dass sich binnen kürzester Zeit - also: binnen Tagen oder Wochen - individuelle Varianten innerhalb der Betroffenen bilden können. Diese Variabilität betrifft allerdings nicht alle Bereiche des viralen Erbguts, sondern nur bestimmte Abschnitte, weshalb es doch immerhin möglich ist, anhand der genetischen Sequenzen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Viren verschiedener Patienten nachzuzeichnen. Dazu braucht es allerdings Bezugsgrößen, also Proben von Patienten, die sich in etwa demselben Zeitraum und unter ähnlichen Umständen mit HIV infiziert haben.

Die Epidemiologie nutzt dieses Prinzip, um aus Virusproben Stammbäume zu erstellen und die Ausbreitung von HIV in sogenannten Clustern zu untersuchen. Das ist wichtig für die Forschung, aber die interessiert sich eben nicht für die Schuldfrage und kann sich deshalb mit Wahrscheinlichkeiten zufrieden geben. Im Fall Benaissa liegt das anders, hier geht es um die Frage der schweren Körperverletzung und der Vorsätzlichkeit. Das Gutachten kann daher zwar eine Aussage darüber treffen, ob die HIV-Infektionen der Sängerin und ihres Ex-Freundes epidemiologisch miteinander verknüpft sind. Möglicherweise lässt sich der Kreis der Personen, innerhalb derer sich die beiden angesteckt haben müssen, auch soweit eingrenzen, dass man sagen kann: Ok, es ist wirklich sehr, sehr wahrscheinlich, dass sie ihn infiziert hat.

Ob das Absicht war, steht aber nicht im Virenerbgut, und vermutlich wird die Analyse desselben jetzt auch keine größere Rolle mehr spielen, denn heute hat Nadja Benaissa sich dazu bekannt, dass sie von ihrem positiven Test wusste und ihrem Freund damals nichts davon gesagt hat. Sie betont dennoch, sie habe den Mann nicht vorsätzlich anstecken wollen. Ob ihr zu glauben ist, müssen nun die Richter entscheiden.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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