Plutonium im Boden rund um Fukushima Daichii: Auch am dritten Montag nach dem großen Beben in Japan brachte die nationale Nachrichtenagentur Kyodo keine frohe Kunde aus dem Reaktor--Katastrophen-Gebiet nordöstlich der Hauptstadt. Es hatte gleich zu Beginn bereits Explosionen gegeben, dann erste Spitzen in den Messungen der Radioaktivität außerhalb der Druckbehälter. Sie wurden immer größer. Im Gemüse der nahen Felder fand man radioaktives Iod, bald registrierten die Behörden auch im Trinkwasser von Tokio erhöhte Werte, zu hoch, um dieses Wasser noch Babys zu geben. Zuletzt stellte Betreiber Tepco fest, dass massiv verstrahltes Wasser teils meterhoch in den Reaktorgebäuden steht. Zwei Arbeitern war die Brühe in die Stiefel gelaufen, die Haut verbrannte von der Strahlung, ob die beiden lange überleben werden, weiß niemand, wie auch kein Experte gewiss sagen kann, mit welchen gesundheitlichen Folgen die übrigen Helfer vor Ort zu rechnen haben. Wohin das führen wird. Wie weit die Strahlung sich ausbreitet. Wie lange es dauert. Und vor allem: Was in den Ruinen von Fukushima Daiichi überhaupt vor sich geht.
Müsste der Plutoniumfund daher nicht der befürchtete große Knall sein, das endgültige Kein-zurück-mehr, das Jetzt-ist-es-wirklich-passiert – und mithin das Eingeständnis, dass die Katastrophe schon lange nicht mehr unter Kontrolle ist? Plutonium kann immerhin nur aus den Brennelementen der Reaktoren selbst stammen, dort entsteht es in geringen Mengen aus Uran oder wird als Mischoxidkompenente auch direkt als Brennstoff eingesetzt, und von dort wird es freigesetzt, wenn die Reaktoren trocken liegen und der Druckbehälter beschädigt ist. Doch in Daiichi ist die Lage eben kompliziert: Plutoniumhaltige Mischoxidbrennstäbe lagern auch im kritischen Abklingbecken von Reaktor 3, was die Sache nicht viel besser macht, aber doch immerhin zu hoffen ließe, dass die Reaktorbehälter selbst noch unbeschädigt sind. Und das ist es eben: Eine Hochrisikotechnologie havariert – und was bleibt, ist nichts als Hoffnung. Weil niemand weiß, welchen Verlauf so eine Katastrophe nimmt.
Kreative Kühlmaßnahmen
Dass sie ihren Lauf nimmt und nicht erst noch bevorsteht, ist für Michael Sailer vom Ökoinstitut e.V. in Freiburg gar keine Frage mehr. „Der Reaktor ist in der Katastrophe, da hilft auch der liebe Gott nicht mehr“, sagt das Mitglied der Reaktorsicherheitkommission. Im Prinzip wisse man zwar aus Modellszenarien, was im Ernstfall innerhalb des Reaktors ungefähr passiert, nämlich eine Kernschmelze innerhalb relativ kurzer Zeit. „Diese Szenarien gehen aber davon aus, dass es überhaupt keine Kühlung mehr gibt“, sagt Sailer – und das ist in Fukushima eben nicht der Fall. Mit viel kreativer Energie wurde immer wieder Meerwasser in die Reaktoren verbracht, vielleicht mit Erfolg, vermutlich aber auch mit dem von Experten der Internationalen Atomenergiebehörde beklagten Ergebnis, dass sich auf den Brennstäben nun eine Salzkruste gebildet haben könnte, die eine Kühlung zwar nicht verhindert, aber mindert. Deshalb soll jetzt nur noch Süßwasser für die Kühlung benutzt werden. Ob das besser klappt, wird allerdings auch schwer festzustellen sein. Denn, darauf weist Sailer hin, die Messinstrumente innerhalb von Containment und Druckbehälter funktionieren wegen der schweren Schäden entweder gar nicht mehr oder nur unter Vorbehalt, weil sie etwa den Wasserstand nicht direkt registrieren, sondern über eine Druckdifferenz. Zudem müsse die Kernschmelze nicht voll eingesetzt haben, damit aus einem möglicherweise beschädigten Reaktorkern Radioaktivität freigesetzt werde. „Wenn ein Brennelement 1600 Grad Celsius heiß wird, ist es noch fest“. Aber auch aus so einem weißglühenden Material würden bereits große Mengen Radioaktivität freigesetzt.
Der ganz extreme Super-GAU
Falls es dennoch zu einer Kernschmelze gekommen ist, wie es die Regierung in Tokio am Montag erstmals offiziell eingeräumt hat, bleiben weitere Fragezeichen. Denn auch der Super-GAU kennt theoretische Extreme, deren Folgen schwer modellierbar sind. Frisst sich der geschmolzene Reaktorkern etwa ins Betonfundament hinein, kann es zum sogenannten China-Syndrom (siehe Freitag Nr.12/2011) kommen, bei dem die glühende Masse auf der Unterseite des Gebäudes austritt. Nur: Was passiert dann? „Wenn so ein extrem heißer Kern dort relativ bald auf wasserführende Schichten trifft, kann das zu einer Dampfexplosion führen“, sagt Sailer. Das war auch die Gefahr in Tschernobyl, wo unterhalb der Lava-artigen Masse aus Kernschmelze und flüssigem Beton zwei Wasserreservoire warteten. Es kann aber auch sein, dass die Vermischung mit Beton und Erdreich den Kern verfestigt, so dass er als strahlende Masse dort über viele Jahrzehnte und ganz allmählich an Hitze verliert und porös wird. Mit wiederum unberechenbaren Folgen für die Umwelt bis über die Evakuierungszone hinaus.
Was jetzt gerade in Fukushima geschieht, wird man ohnehin erst in Jahren wissen. Selbst in Harrisburg, wo Reaktorhülle, Gebäude und die meisten Instrumente unbeschädigt blieben, war nicht einmal der Kühlwasserstand ersichtlich, als der Kern 1979 teilweise in die Schmelze ging. Das Ausmaß des Schadens im Druckbehälter konnte erst Jahre später eruiert werden. Doch obwohl nun eine kontinuierliche Reihe von Katastrophen und Störfällen belegt hat, was Fukushima jetzt bestätigt, dass diese Technologie samt Folgen einfach nicht zu kontrollieren ist, bekommt schon die nächste angeblich sichere Atomkrafttechnologie Aufwind: Thoriumreaktoren, heißt es, seien ungefährlich, weil sie nicht schmelzen können. Ein Zusammenhang, den Sailer nicht bestätigen kann: „Keine Schmelze heißt nicht, dass keine Freisetzung möglich ist“. Die könne sogar größer sein als beim konventionellen Gau – weil auch hier ein Restrisiko durch Wassereinbrüche und Flugzeugabstürzte bestehe.
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