Gegen das Essen von Tieren hat er wenig einzuwenden. Überhaupt findet Jeremy Bentham gute Argumente dafür, Tiere zu töten: Der Tod durch Menschenhand, meint er, beschere Tieren ein schnelleres und damit in der Regel ein weniger schmerzhaftes Ende, als es das Schicksal der Tiere in der freien Natur bereithalte. Es ist dem Mann in der Sache nicht einmal bedeutsam, ob gefiederte, beflosste oder vierbeinige Lebewesen denken und sich mitteilen können. Für Bentham lautete die entscheidende Frage stattdessen schlicht: Können Tiere leiden?
Vieles daran ist bemerkenswert. Zum einen stellt der englische Jurist und Sozialreformer diese folgenschwere Frage beiläufig anmutend in einer Fußnote seiner Introduction to the Principles of Morals and Legislation. Zum and
tion. Zum anderen stellt er sie zu einer Zeit, da Charles Darwin noch nicht einmal Experimente im Geräteschuppen des Internats von Shrewsbury unternimmt – er ist noch gar nicht geboren. Die Entstehung der Arten mit all ihren Implikationen für die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Mensch und Tier, für Moralbegriff und Weltbild, das alles ist noch sieben Jahrzehnte hin, als Bentham im Jahr 1789 feststellt, dass die Quälerei von Tieren, wie sie damals etwa der Schweizer Mediziner Albrecht von Haller ungerührt in seinen wissenschaftlichen Werken beschreibt, jeder moralischen und rechtlichen Grundlage entbehrt. (Haller hatte im 18. Jahrhundert zum Beispiel die Kniegelenkskapsel einer Katze mit hochätzender Schwefelsäure gefüllt und erfreut berichtet, dass das Tier erst verrückt vor Schmerz geworden sei, nachdem die Chemikalie den „Nerf“ erfasst hatte.)Verbrauchen statt Quälen?Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass Benthams Gedanke eineinhalb Jahrhunderte lang beinahe in Vergessenheit geriet – und sich seit den späten fünfziger Jahren nur mühsam ins öffentliche Bewusstsein vorarbeitet. Die Forschung selbst hat erst in den vergangenen Jahrzehnten ihrem drängenden Wunsch Ausdruck verliehen, der von Bentham einst formulierten Idee stattzugeben und Experimente an Tieren so weit wie möglich durch alternative Methoden zu ersetzen, für die kein höherentwickeltes Lebewesen leiden und sterben muss. Die Suche nach solchen Möglichkeiten hat auf manchen Gebieten, insbesondere der Toxikologie, schon einiges an Möglichkeiten eröffnet: Die Mutagenität, das krebserregende Potenzial, die Giftigkeit von Stoffen schlechthin lässt sich heute bereits mit Assays testen, die ausschließlich kultivierte Zellen enthalten. Das ist schon für die Erforschung potenziell reizbarer Stoffe von tierethischem Wert: Als Standard galt hier etwa lange Zeit der Draize-Test, auch Kaninchenaugentest genannt. Die zu prüfende Substanz wurde Albinokaninchen in den Lidsack geträufelt, und dann guckte man, was passiert. Für die Labortiere konnte das in brutale Folter ausarten – weshalb man den seit 1944 gebräuchlichen Test durch Assays an isolierten Geweben ersetzte. Für die werden zwar auch noch Tiere „verbraucht“, aber eben keine mehr gequält.Viele Wissenschaftler sind zudem überzeugt davon, dass ausgerechnet die ethisch so umstrittene Stammzellforschung mit gezielt gezüchteten Zelltypen zu ebenfalls zellbasierten, aber weit spezifischeren Experimentalsystemen führen kann, viel eher übrigens noch als zu klinisch einsetzbaren regenerativen Therapien.Methodisch hohes NiveauDas Konzept dürfte insbesondere für die Erforschung neuer Wirkstoffe wie Herzmedikamente interessant werden, mit denen man dann nicht mehr zuerst eine Armada von Labornagern bombardieren müsste, um herauszufinden, ob das neue Präparat überhaupt die Funktion von lebenden Herzmuskelzellen verbessert. Oder: Gerade haben Forscher der am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ansässigen „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ (deutlich kürzer: ZEBET) im Fachjournal Nature Protocols ein bereits validiertes Verfahren vorgestellt, mit dessen Hilfe sich die embryotoxische Wirkung von Substanzen anstatt an lebenden Mäusen in vitro, also an embryonalen Mausstammzellen testen ließe.Derlei Tests finden bisher allerdings nicht immer und auch nicht auf allen Gebieten der Wissenschaft Anwendung, und das hat vielschichtige Ursachen. An mangelndem Interesse liegt es nach Aussage vieler Forscher jedenfalls nicht: Auch Verfechter der experimentellen Arbeit mit Tieren wie der – von Tierrechtlern heftig kritisierte und stets im öffentlichen Diskurs engagierte – britische Neurologe Colin Blakemore unterstreichen, dass ihnen das Schicksal der Tiere nicht gleichgültig ist. „Je länger ich mit Tieren arbeitete, desto unwohler fühlte ich mich dabei“, sagt Blakemore, der an der University of Oxford lehrt. Und er sieht sich nicht allein. „Ich kenne keinen einzigen Wissenschaftler, der nicht lieber alternative Möglichkeiten nutzen würde, sofern sie denn verfügbar wären.“ An dem letzten Punkt hängt jedoch viel: Die Forschung hat über die vergangenen Jahrzehnte methodisch längst ein Niveau erreicht, auf dem der Austausch etablierter Versuchssysteme gerade in der Gen-, Krebs- oder Hirnforschung gegen tierversuchsfreie Verfahren nicht nur schwierig bis unmöglich ist, sondern immer auch einen Verlust an Aussagekraft bedeutet. So gilt selbst der Draize-Test, der längst durch alternative Protokolle ohne lebende Tiere ersetzt worden ist, in seiner Empfindlichkeit immer noch als überlegen. Was direkt zu der ketzerischen Frage führt, inwieweit eine auf Fortschritt gebaute Gesellschaft überhaupt bereit ist, um der lieben Tiere Willen auf neue Erkenntnisse zu verzichten – bis Computersimulationen, Zellmodelle oder biochemische Tests so weit entwickelt sind, dass auch schwierige Fragestellungen nicht am lebenden Wesen geklärt werden müssen.Für die einfacheren Fragen ist immerhin eine Entwicklung absehbar: Allein die EU-Verordnung REACH, in deren Folge sämtliche im Verkehr befindlichen Chemikalien toxikologisch erneut oder erstmals geprüft werden müssen, erzwingt die Entwicklung von Tierversuchsalternativen schon deshalb, weil die schiere Zahl an nötigen Laborratten für die Tests schwerlich zu beschaffen wäre.Die medizinisch orientierte Forschung aber braucht Versuchstiere, und die Bevölkerung will Therapien – mehr wohl noch als Fleisch, dessen Produktion sicher leichter vom Leid der Tiere zu trennen wäre. Und trotzdem: Tierexperimente wie industrielle Massentierhaltung werden von der breiten Öffentlichkeit zwar nicht gewünscht, aber bis heute doch still geduldet. Nicht zuletzt das ist ein Teil des Problems.