Megabeben in Japan: The Limits of Control

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Man konnte sich wundern, als das ZDF termingerecht zum Megabeben vor der japanischen Küste eine Sendung aus dem Archivhut zog, die wie eine exakte Vorhersage dieser Katastrophe anmutete.

Aber man darf sich nicht wundern. Nichts an dem, was jetzt in Japan passiert, kommt überraschend in dem Sinne, dass man es für unmöglich oder auch nur unwahrscheinlich gehalten hätte. Im Gegenteil: Wissenschaftler wissen seit Jahrzehnten um die plattentektonischen Spannungen, die sich nicht nur vor Japan, sondern zum Beispiel auch vor der Küste Kaliforniens auftürmen: Dort schiebt sich eine Platte der Erdkruste unter die andere und gleitet eben nicht geschmeidig herab, sondern hakt und ruckelt und schnellt auch bisweilen ein Stück vor. So lapidar ist das, was der Mensch zwar weiß, aber nur begrenzt in den Griff bekommt . Für Japan lautete die Prognose der Seismologen nach dem großen Beben von 1923, die Wahrscheinlichkeit für ein großes Beben innerhalb der nächsten einhundert Jahre sei 1:3 und die Stärke erreiche dann bis zu 8,2 auf der Richterskala. Nun waren es 8,9, was nicht nur ein bisschen, sondern deutlich heftiger ist als 8,2, weil die Richterskala keine lineare Steigung hat, sondern mit jedem Punkt exponentiell wächst. Ein Beben von 9 hat 32mal soviel Energie wie ein Beben der Stärke 8.

Und es ist eben dieser Unterschied, der das Dilemma unserer Spezies offenbart: Das Überlebensprinzip des Menschen besteht darin, sich mithilfe neuer Technologien zu entwickeln und vor Gefahren zu schützen. Japan war in diesem Sinne besser auf ein Megabeben vorbereitet als jedes andere erdbebenbedrohte Land der Erde - da wurden ganze Krankenhäuser in Hallen nachgebaut, um die Folgen der Erschütterungen abzusehen und ihnen vorbeugen zu können. Schulkinder bekommen in Japan eine Art Grundausbildung in Seismologie, um quasi im Schlaf genau das richtige zu tun, und seien es so banale Dinge wie unter den Tisch zu krabbeln. Hochentwickelte Frühwarnsysteme sind über den Pazifik verstreut, Versorgungsnetze unter der Erde etabliert, die Wolkenkratzer in den Metropolen auf flexibile Fundamente gestellt - und auch die Kernkraftwerke wurden erdbebensicher konstruiert. Ein Megabeben war in jeder Hinsicht eingeplant. Nur eben nicht dieses.

Das technologische Vermögen, sich vor den physikalischen Eigenschaften unseres Planeten zu schützen, sein Treiben zu kontrollieren, hat eine Grenze. Sie ist nicht festgeschrieben, sie bewegt sich mit dem Fortschritt, aber bisweilen ist sie erreicht oder wird überschritten, und dann ist der Mensch nicht viel besser dran als ein Dinosaurier, der durch einen Meteoriteneinschlag vom Planeten gefegt wird. Der Bau von Kernkraftwerken in seismisch aktiven Regionen kann diesen Vorgang nur befördern. Im Moment (Samstag, 10:21 Uhr MEZ) ist die Strahlenbelastung außerhalb der beschädigten Reaktoren um das gut 900fache erhöht. Die Japaner werden angewiesen, ihre Klimaanlagen auszuschalten und nicht nach draußen zu gehen.

Nachtrag um 13:22: Offenbar hat die Regierung in Japan bestätigt, dass der super-GAU in Fokushima I eingetreten ist, zumindest meldet das die tagessschau unter berufung auf ihren korrespondenten. damit ist die kontrolle nicht mehr begrenzt, sondern verloren.

(Teaserbild: KAZUHIRO NOGI/AFP/Getty Images)

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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