Öl: Wahnwitz folgt Wahnsinn folgt Wahnwitz

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Die Medien kommen derzeit kaum noch hinterher, wenn es um die vielen neuen Wendungen im Fall Lochstopfung am Meeresgrund im Golf von Mexiko geht. Fast zeitgleich ist gerade von einer neuen Lösung des Ölproblems die Rede, von deren Scheitern, von Problemen mit einem Test.... Was passiert da bloß? Über mehr als vier Wochen konnte BP einen kleinen Teil des ausströmenden Öls über einen Aufsatz einsammelt, der nach zahlreichen Missgeschicken am 4. Juni in Position gebracht worden war. Am vergangenen Wochenende haben die findigen Techniker von BP diese Kappe durch eine neue ersetzt. In der neuen Ausgabe der ZEIT nennt Martin Klingst sie eine "wesentlich wirksamere Auffangglocke". Sie soll das Leck bis zur endgültigen Schließung abdichten. Klingt vernünftig, soweit.

Wir haben es hier bloß mit einem Leck zu tun, das seit mehr als 80 Tagen vor sich hin sprudelt und zwar in 1500 Metern Tiefe und unter physikalischen Bedingungen, die jeden direkten Eingriff von Menschenhand ausschließen, was einer der Gründe dafür sein dürfte, dass bisher jede andere versuchte Zustöpselung gescheitert ist, und auch das neue Experiment läuft bisher nicht nach Plan. Im Gegenteil. Es könnte jeden Teilerfolg und die finale Lösung des Problems durch die Entlastungsbohrung komplett verhindern und die Katastrophe in eine Superkatastrophe verwandeln.

Wieso? Eine richtig gute Beschreibung der Problemchen, die dieser neue 80-Tonnen-Deckel mit sich bringen kann, gibt der "science guy" von CNN zum Besten – mit dem Verweis auf das, was unterhalb des Lochs ist: Eine Leitung, die weitere vier Kilometer in die Tiefe reicht, bis zur Ölblase selbst. In welchem Zustand diese Leitungen nach dem Untergang der Bohrinsel vor knapp drei Monaten sind, weiß niemand. Am oberen Ende jedenfalls wurde heftig herumgesägt, ein Roboter blieb stecken, außerdem fand bereits der Versuch statt, Müll in die Öffnung zu pumpen, was seinerseits seine Spuren hinterlassen haben dürfte.

Wenn die neue "Hoffnung", wie sie in den Zeitungen genannt wird, nun den Betrieb aufnimmt, dann wird der Druck auf die Rohre wachsen, und zwar enorm. Falls sie dem nicht mehr standhalten, könnte das zum einen am oberen Ende zu einer Vergrößerung des Lecks führen. Weiter unten könnte der Druck die Enlastungsbohrlöcher zerstören, die fast am eigentlichen Bohrloch angekommen sind. Das Gestein um diese Löcher ist immerhin nicht massiv.

So. Und das alles nun wenige Wochen, bevor die halbwegs vertrauenswürdige Arbeit an den Entlastungsbohrungen beendet ist. Warum, BP? Hätte es zu lange gedauert, nämlich bis nach dem 27. Juli, wenn die Bilanzen auf dem Tisch liegen müssen und es um die Firmenexistenz geht? Oder werden am Exempel nun allerlei Methoden für künftige Desaster ausprobiert, die ja leider nicht auszuschließen sind, selbst wenn Obama das am Mittwoch verabschiedete, neue Moratorium für Offshore-Bohrungen dieses Mal dauerhaft durchsetzen kann?

Der ehemalige Umweltminister und UNEP-Direktor Klaus Töpfer sagt in einem leider sehr kurz geratenen Interview mit der ZEIT, dass die Förderrisiken auch in der Arktis steigen werden. Unsere Autorin Julia Groß hat sich das für die aktuelle Freitag-Ausgabe schon mal angeguckt: Sie berichtet von einer neuen Förderanlage in der Prudhoebay, drei Kilometer vor der Küste Alaskas. Offshore also, aber vom Moratorium ausgenommen, weil die Anlage auf einer künstlich angelegten Schotterinsel thront. Aber das ist nicht die einzige Besonderheit: Die Bohrung selbst ist die wohl aberwitzigste, die es bislang gab. Es gibt keine Erfahrungen mit dieser Technik. Die Risiken sind schwer einzuschätzen. Der Betreiber heißt im Übrigen: BP.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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