Pik Öl

Diagnose: Mensch Was lernt der Mensch aus dem Desaster? Der Abschlussbericht zur Havarie der Bohrinsel Deepwater Horizon zeigt: außer Statistik leider nichts

Katastrophen sind flüchtig. Sie können zwar enorme Kräfte freisetzen, die Welt nachhaltig verändern, auch im Positiven – sofern man aus ihnen lernt. Das muss dann aber ziemlich schnell passieren, sonst bleibt nur eine erkenntnisfreie Statistik der Zerstörung. Nachgerade beispielhaft zeigt das der nun er­schienene Abschlussbericht der Oil Spill Commission zur größten Ölkatastrophe in der Geschichte.

Die ist nicht mal lange her: Erst knapp 17 Monate sind vergangen, seit im Golf von Mexiko eine Bohrinsel havarierte. Und als die Deepwater Horizon am 20. April 2010 in Flammen aufging, flog 1,5 Kilometer unter ihr, am Boden des Ozeans, auch der Stöpsel aus dem zugehörigen Bohrloch. Mehrere stümper­hafte Versuche scheiterten, das Leck am Meeresgrund zu stopfen. Über einen Zeitraum von fast drei Monaten strömten rund 5 Millionen Barrel (gut 800 Millionen Liter) Rohöl ungehindert aus dem 5 Meilen tief liegenden Macondo-Feld in den Golf. Das Öl verschmierte mehr als 1.000 Kilometer Küste in Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida, floss in die sensiblen Feucht­gebiete des Mississippi-Deltas, sank in riesigen Schwaden hinab ins Meer, bedeckte weite Teile des Wassers. Von den zahllosen Tieren, die durch das Öl starben oder krank wurden, konnte man mehr als 8.000 Vögel, 1.114 Wasserschildkröten und mehrere Dutzend Delfine bergen, die überlebenswichtige Mikroflora von Ozean und Wetlands nahm schweren, vermutlich irreversiblen Schaden. Fischerei und Tourismus der Region kollabierten, Zigtausende Menschen verloren ihre Arbeit und Existenz. Seelische Erkrankungen und durch die Ölpest verursachte körperliche Leiden nahmen sprunghaft zu.

Lange bevor die Katastrophe diese – im Bericht weit detaillierter ausge­malten – Konsequenzen entfaltet hatte, begannen die Menschen, über ihre Abhängigkeit vom Öl nachzudenken. Und über die Risiken, die nun offenbar wurden (siehe der Freitag Nr.23/2010). Umweltexperten warnten, in Tiefen, deren physikalische Bedingungen niemand kennt, weiterzubohren. Auch die Politik deutete Verantwortung an: Es gab ein Moratorium für Tiefseebohrungen und viele Untersuchungen. Man wollte BP und die beteiligten Unternehmen Halliburton und Transocean nicht davonkommen lassen. Es sah lange so aus, also ob dies gelingen könnte.

Doch nicht erst mit dem Erscheinen des Berichts stellte sich die Frage, ob dabei jemals auch nur ernsthaft erwogen worden ist, das Ende der (absehbar endlichen) Erdöl-Ära nach diesem Desaster endlich einzuleiten. Es gelang, das Leck zu schließen. Es floss viel Geld. Das Moratorium wurde aufgehoben, die Erschließung von Ölfeldern in der Tiefsee geht weiter. Vor zwei Wochen gab BP bekannt, dass man unter dem Golf von Mexiko ein weiteres Reservoir entdeckt habe. Es ist nur eines von mehr als 1.000 laufenden offshore field development projects des Ölriesen und nur eines von mehreren in extremer Tiefe liegenden Ölfeldern in einem bestimmten Areal des Golfs, die von BP erschlossen werden. Tiber, Mad Dog und Kaskida ­gemein ist ihre als „gigantisch“ be­zeichnete Größe, jedes der Felder soll mehrere Milliarden Barrel eines besonders hochwertigen Rohöls bergen. So entschlossen sich die US-Administration seit 17 Monaten der Schuldfragen im Fall Deepwater Horizon gewidmet hat und BP verantwortlich macht, so entschlossen zeigen sich die Beteiligten nun, die Ermittlungsergebnisse zu­gunsten der Ölwirtschaft zu deuten. Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, William K. Reilly, kommt deshalb nicht bloß zu dem absurden Schluss, dass das Bohren in der Tiefsee sicher sei. Nein: „Besonnenheit heißt, nicht auf diese essenziellen Ressourcen zu verzichten“.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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