Kommissar Borowski, Anne Will und Reinhold Beckmann hatten in dieser Woche eine gute Zeit – kein Mord, kein Afghanistan, kein Hartz IV oder ähnliche Schwerstprobleme, keine Nachtgespräche über Werteverfall und Parteienverdrossenheit, nein, seit vergangenen Sonntag dürfen sich in der ARD alle mit Schönem befassen, das ganz nah am Menschen dran ist und über das auch jeder gerne spricht: Essen.
Nicht, dass es weniger anstrengend wäre, über Essen als über Politik zu reden, bereitet uns die Nahrung doch auf ihre Weise Probleme: Wir wollen „gesundes Essen“, kriegen es aber nicht. Also werden wir fett und krank und auch deprimiert, weil die böse Lebensmittelindustrie unseren guten Willen schamlos ausnutzt und uns permanent Sachen auftischt, die wir gar nicht essen würden, wüssten wir denn, was da drin ist – aber das eben wissen wir nicht, weil besagte Industrie uns die Inhalte nicht „transparent“ vor Augen hält.
Und diese Einsicht ist leider auch schon fast das Schwarzweiß-Rezept der ARD-Themenwoche Essen ist Leben. Fast, weil noch die Experten fehlen, die uns anstelle der Lebensmittelhersteller die Augen öffnen und unterstreichen, dass wir es hier mit einer simplen Ursache-Wirkung-Beziehung zu tun haben. Die Experten heißen Grimm, Bode, Pollmer und Mälzer, sind Journalisten, Aktivisten und Fernsehköche, und wir kennen sie, denn sie sind schon vor einem Jahr in Hart aber fair und bei Maischberger für uns auf die TV-Barrikaden gegangen, als die Verbraucherzentralen das wahre Antlitz von Analogkäse und Gelschinken entblößten. Die Quoten müssen damals so überzeugend gewesen sein, dass man sich daran noch mal richtig satt senden wollte.
Igitt, der schimmelt gar nicht
Einem mit Platitüden gespickten Tatort – Farbstoff tötet einen allergischen Jungen, die geheimnisvolle Schöne ist Vegetarierin, die Lebensmittelherstellerin eine Schlampe – folgte deshalb eine Talkrunde, in der Lebensmittelallergieopfer und Josef-Strauß-Tochter Monika Hohlmeier erst ihr Leid klagen durfte, bevor Hans-Ulrich Grimm mit einer Lupe die unerhörte Erkenntnis offenbarte, dass in der Tütenhühnersuppe mit dem Logo „Natürlich – ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe“ in Wahrheit Hefeextrakt steckt. Ein Stoff, der natürlich ist, aber eben doch den Geschmack verstärkt, verdammt noch mal, und die Backmischung nach Großmutters Backidee enthält unter anderem Natriumhydrogencarbonat – pure Chemie also! Als das Zeug noch Natron hieß, benutze das zwar auch Oma gern, aber die Zuschauer lieben nunmal das vorgekaute Entlarvungsspielchen. Also wird es geboten, so, wie der obligatorische Ausflug in eine Schweineschlachterei. Nicht zu vergessen: Das abstoßende Beispiel eines Hamburgers, der 180 Tage nicht schimmelt, weil vermutlich fiese Konservierungsstoffe darin sind.
Das mag vielen einen wohligen Schauer des Ekels über den Rücken jagen. Mancher guckt gewiss auch gern Tim Mälzer zu, wie er um ein herbstliches Gemüsepanorama herumspringt und schwärmt, wie schön so eine Rosenkohlstaude ist.
Und nachdem die große ARD Wissens-Show mit Ranga Yogeshwar am Donnerstag mit tatkräftiger Unterstützung von Alice Schwarzer, diversen anderen Promis und nicht zu vergessen: the german Jamie Tim Mälzer geklärt hat, dass 13 Apfelsinen 2100 Kalorien haben (was jede Kalorientabelle in Staunen versetzt), dass die extra vom Institut ARD – begleitet vom der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – durchgeführte „Studie“ von allen 400 Teilnehmern penibel befolgt wurde (damit „die Daten“ nicht verfälscht werden!); nachdem wir dank eben dieser „Studie“ jetzt wissen, dass die meisten Deutschen lieber Wurst und Käse zum Frühstück essen als Marmelade und „Schokoladenkrem“ (oder meinte Yogeshwar etwa Nutella?) und da wir Tim Mälzer sei Dank erfahren, dass die Königsberger Klopse eines Sternekochs besser schmecken als Fertigklopse aus der Mikrowelle, wissen wir zwar keine Antwort auf die Frage „Wie ernährt sich Deutschland“, aber die Intendanz der ARD kann sich ob der famosen Quote hoffentlich auf die Schulter klopfen.
Qualität, wenn keiner guckt
Wir wollen gewiss nicht ungerecht sein: Über den Hunger in Afrika war auch was im Programm, über globale Verteilungsprobleme, und über die vielen kritikwürdigen Entartungen der Nahrungsmittelproduktion. Es gab interessante Radiofeatures und Dokumentationen wie zum Beispiel Food Inc., eine zu recht gelobte Produktion der amerikanischen Journalisten Michael Pollan udn Eric Schlosser. Nur lief das das meiste davon halt nachts, wenn keiner guckt oder hört. In der Primetime gab es nur Fast Food.
Man kann deshalb nicht anders, man muss fragen: Was soll das? Wozu die Klopse, Kürbisse, Kalorien samt Pseudoaufklärung? Eine ernsthafte Sondierung – soll heißen: Recherche - unserer Ernährungsproblemen im geschichtlichen, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt politischen Kontext hätte zu der Einsicht führen können, dass Verbrauchertäuschung und 52 Stück Würfelzucker im Ketchup lediglich Randphänomene eines viel grundsätzlicheren Problems sind, und dessen Wurzeln treiben in anderen Böden. Fehlendes Bewusstsein für Nahrung als solche und für deren Energiebilanz, die eben nicht den Tabellen der DGE gehorcht. Ein komplett desolates Lebensmittelrecht, das die sogenannte Täuschung oft eher erzwingt, als verhindert. Und nicht zuletzt eine Forschung, die noch immer nicht glaubhaft belegen kann, was sie seit Jahrzehnten behauptet: Dass im Wohlstand lebende Menschen ihre Gesundheit allein durch bestimmte Nährstoffkonstellationen beeinflussen können.
Was dann von der Themenwoche bleibt ist, dass man seinen Kindern lieber ein anderes Müsli kauft oder Cola mit Süßstoff. Vielleicht versucht man es mit den selbstgekochten Klopsen mal, am Wochenende, nur aus frischen Zutaten von der Fleischertheke und aus der Feinkostabteilung. Und nächste Woche? Geht der Gebührenzahler dann wieder einkaufen nach einem Motto, das dieser Themenwoche weit besser gestanden hätte: „Konsum macht Freude“.
Kommentare 15
appetit auf populismus, um den hunger zu stillen...
Ja, und wer klärt uns über die vielen Stoffe auf, die nicht deklariert werden müssen? Also die, die technologisch bedingt sind? Also die, die ein verklumpen verhindern, die Rieselfähigkeit verbessern, die den hygroskopischen Eigenschaften entgegen wirken ...und, und und und.
Frau Aigner ist in ihrer Funktion als Verbraucherschutzministerin völlig deplatziert, sie schützt andere Interessen.
Wenn das so weiter geht kann die ARD in ein paar Jahren einen Themenabend unter dem Thema "Essen heißt sterben" initiieren.
Was bleibt? Wieder ein verunsichertes Fernsehvolk, Finanzüberweisungen für Talkgäste und die Frage: Was soll das?
Bei aller Kritik am Fertigfraß: Statistisch werden die Menschen immer noch älter (wenn auch jetzt fetter und kranker und damit eine doppelte Belastung für Renten- und Krankenkassen). Außerdem ist der Mensch ein robuster Endverbraucher, der Nahrung verdaut, die selbst das stärkste Hausschwein über den Jordan geschickt hätte.
Die Ernährungswissenschaft ist im stetigen Wandel, Langzeitwirkungen über bestimmte Inhaltsstoffe werden gerade am lebenden Objekt durchgeführt und das Pentagon stuft die Fettleibigkeit neben Umweltkatastrophen und islamischem Terrorismus als größte Bedrohung der nationalen Sicherheit ein. Man stelle sich nur vor, 200 Kilo Seekühe wären an den Strand der Normandie gerobbt, was für eine Sauerei...
Der Mensch stirbt eben nicht am Brot allein.
"Die Experten heißen Grimm, Bode, Pollmer und Mälzer, sind Journalisten, Aktivisten und Fernsehköche" finde ich nicht differenziert und diesen Beitrag nebst Hinweis auf den Gebührenzahler zu schnoddrig.
Liebe Kathrin Zinkant,
ja, vermutlich geht der Gebührenzahler nächste Woche wieder einkaufen nach dem Motto "Konsum macht Freude", so er das Geld hat für freudvollen Konsum. Aber warum hätte dieses Motto der ARD-Themenwoche weit besser gestanden?
Gab es nicht tatsächlich tags und nachts Hinweise auf bessere Ernährung, auf Schadstoffe in unserer Nahrung, auf industrielle Täuschung und anderen Betrug (EU- und weltweit) - und das in allen der ARD angehörigen Sendern?
Das war ein Fernsehexperiment. Der wichtigste deutsche Senderverbund widmete sich dem Thema "besseres Essen", in vielen Facetten. Ich finde das gut. Dass es der ARD auch um Quote geht: geschenkt.
"Populismus für den Appetit auf Quote" empfinde ich als Titel misslungen wie "Fresschen für Dummchen". Das ist arrogant und ein wenig peinlich elitär.
Herzliche Grüße
weinsztein
Lieber weinsztein, 2 kurze Bemerkungen.
Die Dickerchen der Fernsehköche, Journalisten und Wissenschaftler hatten Auftrittsverbot (außer U. Pollmer).
Genau die Produkte, die in dieser Woche kritisiert wurden sind es, an denen die ARD über das Jahr durch Werbung verdient. So.
köstlich ihr kommentar, wenn auch unappetitlich. meine vermutung ist ja: die ganzen konservierungs- und aromastoffe haben das menschliche hirn soweit aufgeweicht, dass es aufgeblasener und konstruierter fachrunden zur gesunden ernährung bedarf, einfach auf den körper hören ist nicht mehr drin weil der körper nur noch ein blub von sich gibt, ohne sahne. mfg
köstlich ihr kommentar, wenn auch unappetitlich. meine vermutung ist ja: die ganzen konservierungs- und aromastoffe haben das menschliche hirn soweit aufgeweicht, dass es aufgeblasener und konstruierter fachrunden zur gesunden ernährung bedarf, einfach auf den körper hören ist nicht mehr drin weil der körper nur noch ein blubb von sich gibt, ohne sahne. mfg
Lieber luggi,
dass Auftrittsverbot meintest Du sicher ein wenig spaßig.
Zweitens. Produkte, die in öffentlich-rechtlichen Anstalten oder in irgendwie linken Medien beworben werden, kann man sich nicht aussuchen. Die Konkurrenz ist groß, der Überlebenskampf hart. Da muss man schon mal eine Familiensuppe von Maggi oder andere Flüssigkunststoffe auslöffeln.
Drittens. Dieser einwöchige ARD-Versuch "Essen ist Leben" war aufklärerisch, fand x-Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer, die sehr viel über bessere Ernährung lernen konnten.
Ist das schlecht oder gut? Ist das Fresschen für Dummchen oder Appetit auf Quote?
nicht erst seit den Quiz- , Koch- und Ernährungsorgien überlege ich, wie ich meine GEZ-Gebühren zurückbekommen kann. Eventuell über den Weg des Schmerzensgeldes für den "Genuß" derartiger Realisationen des Kulturauftrages.
Diese Woche gab es auch was ganz Tolles für meine Gebühren. Leider auch im Spätprogramm versteckt.
www.br-online.de/br-alpha/90-jahre-versailler-vertrag-DID1259567907924/versailles-friedensvertrag-gewaltfrieden-ID1265198323616.xml?_requestid=112989
Wird am 6. und 13. Nov. auf BR-alpha wiederholt. Sehr empfehlenswert.
Videoclip hier:
www.youtube.com/watch?v=PhXot-tjnsM
Lieber weinsztein,
das Wort Auftrittsverbot, okay, vielleicht in Gänsefüßchen, aber sonst war es sehr ernst gemeint.
Zu zweitens: Nicht alles, mit dem man Geld durch Werbung verdienen kann, muss beworben werden. Es gibt doch Entscheidungsträger und öffentlich-rechtliche Gebühren. Dieser Kompromiss, einerseits Ernährungsaufklärung und andererseits Werbung für Nahrungsmist ist ein sehr fauler Kompromiss.
Zu drittens: Diese Aufklärung findet ständig statt; mit Schwankungshöhen bei der Intensität. Der • ist der, dass seit Jahrzehnten das gesundheitliche Gefährdungspotenzial von Cola und Co. bekannt ist. Und? Ist das Colaangebot auf eine verschwindende Menge gesunken? Von dem Betrug bei Molkereiprodukten u.a. schweige ich mal lieber. Das, was in der Themenwoche thematisiert wurde, sind längst bekannte Tatsachen. In dieser Form der Darbietung hat das ganze mehr zur anhaltenden Orientierungslosigkeit beigetragen. Schau dir einfach mal die wiedersprechenden Empfehlungen der Ernährungsunwissenschaftler an. Ein U. Pollmer sollte es eigentlich wissen, wie man sich gesund ernährt. Schau und hör dir ihn an. Dick und schweratmend.
Die Themenwoche wird vorbei sein und es geht weiter mit der Überflutung von Kochsendungen (hat die Kochvereinigung eine Lobby bei den Öffent.-Rechtl.?) und Werbung. Die Gesamtmasse der deutschen Bevölkerung wird weiter zunehmen.
Finally: Aufklärung ist immer gut, sehr gut. Aber nicht mit diesem Unsinn mit Kalorienzählerei, Fettanteil, Geschmacksträgern, Fettverbrennung durch Sport, Mischkost, Verstümmelungen durch Magenoperationen usw..
Den Blogtitel von kk finde ich auch etwas unglücklich gewählt. Er richtet sich in der inhaltlichen Tendenz gegen den Verbraucher. Der ist nicht dumm, er wird durch Werbung geprägt. Vielleicht sollte man mit einem Verbot für Werbung für allgemein ungesunde "Nahrungsmittel" anfangen.
Es ist durchaus möglich, dass die Kinder und Jugendlichen von heute nicht mehr so alt werden wie ihre Elterngeneration.
Ranga Yogeshwar entwickelt sich leider immer mehr zum Moralonkel.
naja, einer muss den posten ja übernehmen, wenns die anderen nicht wollen oder können.
Dieser Ranga, ist das nicht der, der immer die Müsliwerbung im Abendprogramm der AeRDe unterbricht?