Prügelknabe im Seuchenzirkus

Keim-Welle Statt einer echten Spur nur wütende Bauern: Auf der Suche nach der Ehec-Quelle steht Reinhard Burger als Chef des Robert-Koch-Instituts zwischen den Fronten

Als Reinhard Burger, vor zehn Monaten vom Kabinett gewählt, vom neuen Bundespräsidenten ernannt und vom Noch-Gesundheitsminister in das Amt an der Spitze des Robert-Koch-Instituts (RKI) eingeführt wurde – hat er sich seinen nächsten Geburtstag damals wohl etwas anders vorgestellt. Aber infektiöse Erreger nehmen weder auf die Agrarindustrie noch auf Seuchenamtspräsidenten viel Rücksicht. Und so saß der Immunologe am 27. Mai, dem Morgen seines 62. Geburtstags, bei der ARD und beantwortete Fragen zu einem Fäkalkeim namens Ehec, mittlerweile als HUSEC41 identifiziert.

Mit 33 Jahren war der Familienvater und Hobbytaucher bereits Professor für Immunologie in Heidelberg, für das RKI arbeitet er seit 1987. Er ist es eigentlich gewohnt, öffentlich zu sprechen, aber diese Fragen waren ihm sichtlich unangenehm: Auf die einen wusste Burger keine Antwort, weil bislang viel zu wenig über Genese und Herkunft des Ehec-Keims bekannt ist und sich dessen weitere Ausbreitung auf dieser Grundlage schlecht vorhersagen lässt. Spekulation? Für einen Wissenschaftler wie Burger keine Option.

Den Gemüsebauern das Geschäft vermiest

Und die anderen Fragen konfrontierten Burger mit dem, was er zuvor schon als Vizepräsident kennenlernen durfte: Misstrauen und Wut über die Vorgehensweise eines Instituts, das die Bevölkerung vor infektiösen Erregern schützen soll und sie stattdessen einer mutmaßlich unnötigen Panik vor geringen Gefahren aussetzt, was nicht nur zu Angst führt, sondern auch zu massiven Kosten. Die Aufregung stand Burger an seinem Jubeltag jedenfalls ins Gesicht geschrieben: Mit zitternder Oberlippe wehrte er sich gegen den Anwurf, er habe den deutschen Gemüsebauern durch falsche Warnungen das Geschäft vermiest, weil sein Institut vor dem Verzehr roher Blattsalate, Gurken und Tomaten „aus Nordeutschland“ gewarnt habe. Tatsächlich hatte es geheißen „in Norddeutschland“.

Der Job, den der wenig charismatische Burger übernommen hat, war nie leicht, aber auch schon mal weniger anstrengend. Es gab sogar ganz gute Zeiten mit überschaubarem Seuchengeschehen, nationaler Priorisierung und vor allem: dem überwiegenden Respekt der Öffentlichkeit. Dafür stand nicht zuletzt der andere Reinhard, Nachname Kurth, der das RKI als Behörde des Gesundheitsministeriums mehr als ein Jahrzehnt lang mit rigider Hand führte.

Selbst in der Debatte um das Vogelgrippevirus H5N1, das laut WHO auf den Menschen überzuspringen drohte, reagierte man im Backsteinbau am Nordufer in Berlin-Wedding noch scheinbar sachlich und unaufgeregt – wenn auch damals schon nicht so ganz kostenneutral und pharmakritisch. Das RKI folgte einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO, für 20 Prozent der Bevölkerung das patentgeschützte Tamiflu einzulagern. Ein exorbitant teurer Spaß, der von vielen Experten als sinnfrei bewertet wurde, weil so ein Mittel, epidemiologisch betrachtet, schnell in seiner Wirkung verpuffen kann. Und Reinhard Burger, noch der Vize seines Namensvetters Kurth, bezeichnete die Bedrohung für die Bevölkerung durch H5N1 seinerzeit selbst als „eher gering“.

Furcht vor globalen Infektionsketten

Er sollte recht behalten. Aber so harmlos sich die Seuche schließlich entwickelte – mit der Vogelgrippe erlebte der weitgereiste und anerkannte Infektiologe höchstpersönlich eine markante Wende in der staatlichen Seuchenbekämpfung am RKI, nämlich die Pandemisierung ansteckender Erkrankungen. Die Furcht vor globalen Infektionsketten durch neuartige Keime bestimmt seither das Handeln im Wedding, immer in Abstimmung mit den WHO-Kollegen aus Genf, die auf nationale Empfindlichkeiten wenig Rücksicht nehmen. Was in derber Weise offenbar wurde, als der gefürchtete Pandemiekeim nicht etwa aus dem Hühnerkäfig, sondern aus dem Schweinestall zu springen schien.

Eingekeilt zwischen der Verantwortung, das eigene Land nicht zum Brutkasten einer weltumspannenden Seuche gedeihen zu lassen, und der Verantwortung, mit Augenmaß die Gesundheit und die Interessen der eigenen Bürger zu schützen, geriet das Institut in nie dagewesener Weise ins Kreuzfeuer der Kritik: Zahlreiche Ärzte bemängelten das Nebenwirkungspotenzial der bestellten neuen Impfstoffe. Und Transparency International warf der am RKI ansässigen Ständigen Impfkommission eine inakzeptable Nähe zur Pharmaindustrie vor. Mit dem Ergebnis, dass die Bürger sich der Immunisierung verweigerten. Als die Pandemie des neuen Virus schließlich milde ausfiel, hätte man das als großes Glück auffassen können, aber das Institut im Wedding bezog noch mehr Prügel. Man unterstellte ihm interessengeleitete Panikmache.

Gegen Ehec existiert kein Impfstoff, nicht mal Antibiotika helfen. Allerdings gibt es Hoffnung, dass ein so genanntes Orphan-Arzneimittel gegen HUS helfen kann. Das Präparat ist eigentlich sehr teuer, und einen Moment lang sah man am Horizont schon die nächste Debatte um Pharmanähe und Kosten heraufziehen, falls sich das Mittel als effektiv erwiese. Doch der Hersteller erklärte sich bereit, in dieser Lage kostenlos zu liefern.

Ansonsten bleibt man aber auf die einfachen Mittel der Seuchenbekämpfung zurückgeworfen. Was Burgers Lage nicht weniger heikel macht. Erstmals geht so eine lebensbedrohliche Seuche von Deutschland aus, die EU hat diesen Ehec-Ausbruch bereits als den bislang schlimmsten eingestuft und erwartet rasche, zielführende Maßnahmen. Denen stehen die Interessen der Gurkenbauern im Inland gegenüber, und so sitzt der Präsident des RKI eben im Fernsehen und diskutiert darüber, ob seine Behörde „aus“ oder „in“ gesagt hat. Man konnte sehen, dass dem Wissenschaftler solche Debatten nicht liegen.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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