Roh bleibt dumm

Kochen Machte erst Garkost das Hirn des Menschen groß? Die Suche nach dem Herd unserer Ahnen läuft weiter auf Hochtouren

Die herausragende Bedeutung vieler Dinge wird oft erst deutlich, wenn sie sich selbst mit dem größten systemischen Aufwand nicht eliminieren lassen. Das Kochen ist dafür ein gutes Beispiel: Seit Jahrzehnten versuchen Lebensmittelindustrie und Gesundheits-Missionare, dem Menschen die eigenverantwortliche Zubereitung seiner Speisen auszutreiben, indem sie Fixprodukte und Rohkost preisen – aber aller erschreckenden Erfolge (und Folgen) zum Trotz: Es will nicht ganz gelingen. Und fragte man Richard Wrangham nach einem Grund für dieses Scheitern, er würde wohl sagen: Weil Kochen die essenzielle Triebfeder der Menschwerdung war. Warum also sollten wir es aufgeben?

13 Jahre ist es her, dass der Schimpansenexperte von der Harvard-University das Feld der Paläoanthropologen mit seiner These aufscheuchte, nicht das Fleisch, sondern das Kochen habe die Entwicklung eines derart energiehungrigen Denkorgans wie des unseren ermöglicht (siehe Freitag Nr.49/2009). Weil sowohl Fleisch als auch pflanzliche Nahrung in gegarter Form viel schneller Energie liefern als rohe – und gekocht sogar oft erst genießbar werden. Der einzige Haken an Wranghams ungemein bestechender Idee: Ohne Feuer keine warme Mahlzeit.

Die zündende Flamme

Vergangene Woche haben Wissenschaftler aus den USA, Israel, Deutschland, Kanada und Südafrika Wranghams These nun neuen Vorschub geleistet: In den Proceedings of the National Academy of Sciences berichtete das internationale Team von einer Feuerstelle in der südafrikanischen Wonderwerk-Höhle, welche die Forscher auf das Alter von einer Million Jahre bestimmen konnten. Was bedeuten würde, dass bereits unser ausgestorbener Vorfahre Homo erectus, der sich als erste menschliche Spezies auch weit über Afrika hinaus ausgebreitet hatte, durchaus in der Lage war, sein erjagdes Wild oder die gesammelten Wurzeln über heißer Flamme zu erweichen. Was wiederum erklären könnte, warum gerade Homo erectus so einen kapitalen Schritt in der Maximierung seiner Hirnmasse tat: Im Vergleich zu seinem Vorgänger Homo habilis hatte er das Volumen des Gehirns von gut einem halben auf einen Liter fast verdoppelt. Seit Forscher das aus den Schädelgrößen abgeleitet haben, wurde der Werkzeuggebrauch, die damit verbundene Jagd und der wiederum damit verbundene Fleischverzehr als Ursache für das enorme Wachstum vermutet.

Aber war das Garen am Ende entscheidend? Als gesichert gilt bislang nur, dass die Vorfahren des Menschen – namentlich Neandertaler, der Homo heidelbergensis und gewiss auch der archaische Homo sapiens – vor 400.000 Jahren und später richtige Feuerstellen hatten. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Funden, die auf eine weiter zurückliegende Nutzung von Feuer hinweisen, so etwa vor 790.000 Jahren im nordisraelischen Gesher Benot Ya’aqov, und sogar vor bis zu 1,5 Millionen Jahren im südafrikanischen Swartkrans.

Das Hirn schrumpft wieder

Der Zusammenhang, in dem diese angebrannten Holzstücke, Pflanzenteile und Knochen entstanden, ist aber umstritten. Die chemische Signatur solcher Brandreste verrät etwas über die Temperaturhöhe der Flammen, und weil sie zudem auf freier Fläche gefunden wurden, könnten sie auch von Blitzeinschlägen stammen.

In Wonderwerk ist das anders: Die Feuerstelle fand man gut 30 Meter im Inneren der 140 Meter tiefen Höhle und mithin weit entfernt vom Zugriff himmlischer Impulse. Die verkohlten Überreste der vor einer Million Jahren verkokelten Pflanzen, Knochen und Bodenschichten sind zudem derart gut erhalten, dass sie nicht nachträglich in die Herberge hineingespült oder -geweht worden sein können. Die Temperatur war derweil nicht sehr hoch, nur bis zu 500 Grad Celsius, was darauf hinweist, dass hier zwar nicht Holz verfeuert wurde, aber Blätter und kleine Äste. Auch sind die Relikte zahlreich und wurden an verschiedenen Stellen gefunden: Es hat nicht nur einmal ein Feuer in Wonderwerk gegeben. Sondern immer wieder. Francesco Berna und seine Kollegen kommen am Ende ihrer Analyse deshalb zu dem Schluss, dass „Hominine schon vor einer Million Jahren mit dem Feuer vertraut waren“. Es sei „der bislang zwingendste Beleg für die Koch-Hypothese von Wrangham“.

Was man durchaus eine gewagte Behauptung nennen kann und in Forscherkreisen auch nennen wird, weil vielerlei nach wie vor auf der Fahndungsliste steht – die Art der möglicherweise gekochten Nahrung oder das Werkzeug, das man zum Kochen vielleicht brauchte.

Aber selbst wenn man nun, wie es Wranghams These ja verlangt, noch ältere, gut erhaltene Feuerspuren aus dem Stein kratzt, sagt das mehr über die Bedeutung des Feuers als über die Bedeutung des Nahrungsaufschlusses für die menschliche Entwicklung aus. Es gibt immerhin weitere Aspekte, die mit einem wärmenden Feuer verbunden sind, zum Beispiel das soziale Miteinander.

Und wann immer zwischen Homo erectus mit seinem angeschwollenen Ein-Liter-Hirn und dem archaischen Homo sapiens mit seinem noch weiter angeschwollenen 1,4-Liter-Hirn die ersten verkohlten Rippchen hinzugekommen sein mögen, so steht doch fest: Unsere Spezies hat immer gekocht und muss es auch unbedingt weiter tun. Nicht nur, weil das menschliche Gehirn seit ein paar Tausend Jahren tatsächlich wieder zu schrumpfen beginnt. Sondern auch, weil die mit dem Kochen verbundene Kenntnis von unverarbeiteten Zutaten, die Wertschätzung von Nahrung und die Gemeinschaftlichkeit des Essens glücklicher machen als Fertignahrung. Und vermutlich der beste Weg sind, ernährungsbedingten Krankheiten vorzubeugen. Insofern ist Kochen einfach immer noch: eine schlaue Sache.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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