Schafft es einfach ab

Öko-Mythos Das Biosiegel ist längst zu einer platten Werbelüge verkommen. Wer besseres Essen für alle will, muss ganz neue Regeln fordern
Das EU-Biosiegel als "kleinster gemeinsamer Nenner" ermöglicht erstaunlich kleine Preise für das vermeintlich bessere Essen
Das EU-Biosiegel als "kleinster gemeinsamer Nenner" ermöglicht erstaunlich kleine Preise für das vermeintlich bessere Essen

Foto: Miguel Villagran / Getty Images

Verdrängung kann ein segensreicher Prozess sein, aber wenn es ums Essen geht, hilft er in der Regel den Falschen - nämlich denen, die am Kauf von Lebensmitteln verdienen. Versteckter Zucker, billigste Zutaten, Chemische Hilfsmittel, Gifte im Tierfutter, Antibiotikaresistene oder sogar völlig neue Keime – die Konsumenten haben es so lange schon so gründlich satt, mit welcher Hartnäckigkeit ihnen die Lebensmittelindustrie ihre Täuschungen serviert. Als einziger Ausweg erschien vielen: Bio. Natürlich, artgerecht, gesund und ethisch unbedenklich. Ein Label für Gesundheit und Gewissen.

Dass auch Bio kaum mehr als eine neue Variante der Verdrängung ist, hat man dabei zwar geahnt, aber natürlich verdrängt. Wie lange halten wir das noch durch? In der ARD lief am Montagabend eine Dokumentation (hier zu sehen noch bis Sonntag) über die Zustände in der ökologischen Landwirtschaft. Das Fazit der Fakt-Recherchen: Bio-Hühner und Bio-Schweine sind keinesfalls immer glückliche Tiere, die eine "artgerechte Haltung" genießen – so, wie es der Verbraucher eigentlich erwarten würde. Die Bilder aus den Ställen erinnern eher an das, was man aus der konventionellen Massentierhaltung kennt und durch den Kauf von Bioprodukten verhindern möchte.

Doch das EU-Biosiegel als "kleinster gemeinsamer Nenner" ermöglicht eben Preise, die der großen Nachfrage nach dem vermeintlich besseren Essen auf allzu verblüffende Weise entgegenkommen. Der Bio-Kochschinken wird erschwinglich, das Bio-Ei ist auch so teuer nicht, und damit längst der Regelfall. Das Erfreulichste an all dem ist, dass die Verbraucher selbst nicht nachdenken respektive umdenken müssen. Sie kaufen einfach weiter ein – im Supermarkt, im Discounter, ein paar Prozent teurer nur, aber dafür eben "bio" und mit bestem Gewissen. Dass die Bio-Aubergine oder Bio-Tomate oft größennormiert in Plastik eingeschweißt ist, blendet man fürs Gefühl dann gern aus. Obwohl man wissen müsste, eigentlich auch weiß, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Man rettet sich ins Wohlgefühl der Qualität: Kann sein, dass der Müllberg durch Bio nicht kleiner wird. Der Körper wird es dennoch danken.

Was viele daher härter treffen wird ist die (auch nicht mehr so neue) Feststellung, dass Bio-Essen, anders als der Glaube es will, nicht einmal gesünder als konventionell produzierte Nahrung ist. Eine neue Meta-Analyse von Forschern aus Stanford hat für diese Erkenntnis viele bereits publizierte Studien zusammengetragen, es ist ein trostloses Resümee bekannter Umstände: Ein paar Omega-Fettsäuren (über deren genaue Wirkung man bis heute wenig sagen kann) mehr und bisschen Pestizide weniger mögen die Idee für den ein oder anderen noch retten. Für die meisten sollte die Zeit der Verdrängung aber vorbei sein.

Die Lebensmittelindustrie hat die Bio-Idee geschluckt, verdreht und zerstört, indem sie sie "marktfähig" machen wollte. Was zum alten Problem führt: Es ist ja nicht verboten, was da passiert. Die Regeln erlauben es selbst Biobauern, ihre Tiere unter unwürdigsten Umständen zu halten, Chemikalien auf dem Feld zu verteilen und ihre Arbeiter auszubeuten. Das macht nicht jeder Ökolandwirt. Aber wer auf dem breiten Markt überleben will, schöpft diese Regeln aus. Der einzige Weg wäre, die Regeln zu ändern. Nicht zwischen konventionell und bio zu unterscheiden und damit einen Wettbewerb zu schaffen, den die ökologische Idee verlieren muss. Sondern eine einheitlich nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zum Grundsatz zu machen. Dann braucht man keine Siegel.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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