Es soll, und es kann nur ein glamouröser Abend werden, wenn die Felix-Burda-Stiftung am 18. April wieder ihre Awards an Stars aus Fernsehen, Forschung und Presse verteilt. Und falls die Gäste ganz, ganz viel Glück haben, werden sie das Berliner Luxushotel Adlon Kempinski am Pariser Platz nicht etwa über einen roten Teppich betreten, sondern durch einen überdimensionierten, fleischfarbenen Plastikluftschlauch, der auf einer Länge von zwanzig Metern unverhofft tiefe Einblicke in den unteren Abschnitt des menschlichen Verdauungstraktes bietet – und in die zugehörigen Gebrechen. Das stimmt schon mal aufs Thema ein: Blutrot erstrahlt da die Colitis ulcerosa, kopfgroß ragen Polypen von der Decke, bedrohlich verengt das Karzinom den Durchgang. Das rosa Riesenspielzeug der Felix-Burda-Stiftung heißt „Faszination Darm“ und kann auch für Firmenpartys gemietet werden.
Seitdem der 33-jährige Sohn von Verleger Herbert Burda und Christa Maar vor neun Jahren an einer erblich Form von Darmkrebs starb, betreibt die Felix-Burda-Stiftung unter dem Regiment der Mutter massive Kampagnenarbeit in Sachen Früherkennung. Mit dem einzigen Ziel, jeden Deutschen von der Notwendigkeit einer Darmspiegelung zu überzeugen. Der missionarische Eifer von Frau Maar und die fast beängstigende Unterstützung „der guten Sache“ durch eine ständig wechselnde Fernseh-Prominente hat das deutsche Darmkrebs-Screening mittlerweile in eine denkwürdige Position katapultiert: Es wird bald wohl wirklich keinen Bundesbürger mehr geben, der nicht von dieser – angeblich komfortablen - Vorsorgeuntersuchung gehört hat, oder noch bezweifelt, daran teilnehmen zu müssen. Zugleich erfreut sich keine andere Frühererkennung einer vergleichbaren Anerkennung durch Öffentlichkeit, Ärzte und Experten als sinnvolle Maßnahme.
Nutzen ja. Schaden aber auch
Zu Recht, wie die Stiftung sich erst in der vergangenen Woche selbst bescheinigte: Mehr als vier Millionen Menschen haben nach Angaben der Presseabteilung seit der Einführung vor acht Jahren am Screening teilgenommen, dabei seien 80.000 fortgeschrittene Adenome (Veränderungen der Darmwand) entfernt worden, „die sich in den nächsten Jahren sonst zu Krebs entwickelt hätten“. Eine beeindruckende Bilanz, die sich allerdings nicht recht mit dem jüngsten Befund des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg deckt. In der Studie der DKFZ-Wissenschaftler ist von insgesamt nur 1,8 Millionen Darmspiegelungen seit 2002 die Rede, und nur von 15.000 verhinderten Krebserkrankungen, was zwar immer noch nach ungeheuer vielen geretteten Leben klingt, aber weniger als einem Fünftel der Krebsfälle entspricht, die die Stiftung verhindert sehen will.
Rechnet man die Zahlen auf fassbare Größen herunter, folgt ohnehin die Ernüchterung. Ohne Screening sterben von 1000 Männern durchschnittlich sechs bis sieben irgendwann an Darmkrebs, die meisten davon in hohem Alter. Verhindert die Darmspiegelung, dass sechs dieser sieben Männer überhaupt an Darmkrebs erkranken, oder dieser Krebs zu spät erkannt wird, sterben die sechs zwar vermutlich nicht mehr an Darmkrebs. Sie leben aber auch nicht unbedingt länger– sondern sterben wie die übrigen 993 Menschen bald an einer anderen Krankheit.
Es ist nicht nur aus diesem Grund ein Phänomen, wie eine einzige, mächtige Stiftung es mit reichlich Aufwand schafft, den enormen Nutzen der Früherkennung über bald ein Jahrzehnt so ausdauernd zu feiern. Fast ebenso ausdauernd wird unterschlagen, dass es auch eine respektable Kehrseite der Vorsorgemedaille gibt. Zum einen bleibt die sogenannte Koloskopie oder große Darmspiegelung, was sie vor Jahren schon war: teuer, mit großem Zeitaufwand verbunden, und wie jeder invasive Eingriff auch mit Risiken behaftet, die noch nicht einmal vollständig erfasst sind. Als mögliche, aber „sehr seltene“ Nebenwirkungen nennt die Stiftung jetzt immerhin Blutungen und Perforationen der Darmwand. Tatsächlich kommen sie in vier von 1000 Fällen vor, von 10 000 Untersuchten sterben zwei sogar an solchen Komplikationen. Nicht viel, aber in derselben Größenordnung wie die Fälle von Darmkrebs. Probleme kann es aber nicht nur während der Untersuchung geben, sondern auch davor und danach, was vor allem daran liegt, dass die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung einer mittleren Rosskur gleicht. Gründlicher Hausputz per Abführmittel, keine richtige Nahrung am Tag vor der Spiegelung – wer einmal gefastet hat, kann sich denken, wie fit der Patient nach der zwanzigminütigen Endoskopie dann von der Liege springt. Kontrollierte Studien gibt es bisher nicht.
Doch solange die Menschen sich nur der immensen Bedeutung dieser Früherkennung bewusst bleiben, werden sich die Dinge schon fügen. Vor allem für die Sponsoren der Felix-Burda-Stiftung, die das ganze Spektrum künftiger Vorsorgediagnostik abdecken und sicherlich kein Problem damit haben, wenn sich die unangenehme Darmspiegelung trotz Plastikdarmmodell und zielführender Verklärung der Tatsachen weiter nur bei rund 15 Prozent der Adressaten durchsetzt. Darmspiegelung per Kapselkamera, virtuelle Spiegelung im Computer- oder Magnetresonanztomografen, immunologische Tests – die Alternativen zur Koloskopie werden in jedem Fall auf ein bestelltes Feld fallen.
Dafür sorgen Christa Maar und ihre Stiftung auch mit den „Awards“, die mit viel Geld dotiert in vier Kategorien vergeben werden. In der Sparte „Journalism for Prevention“ ist als herausragende Arbeit in diesem Jahr übrigens ein Interview nominiert, das die Consulting-Agentin Judit Nothdurft aus Röthenbach geführt hat. Ihre Gesprächspartnerin: Christa Maar.
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