"Und wenn Sie gar nicht existieren?"

Diagnose: Mensch Subnukleare Fragen an ein schwer vermisstest Teilchen, auch bekannt unter dem Namen Higgs, das möglicherweise vor einem schicksalhaften Jahr 2012 steht

Wir treffen uns in der Hotel­lounge. Das Teilchen wirkt entspannt, es ist lässig gekleidet und legt sein Telefon auf den Tisch. Man merkt ihm den Wirbel der vergangenen Wochen gar nicht an. Nervös erscheinen dafür seine PR-Berater. Fünf Nanosekunden, signalisieren sie. Dann muss das Higgs-Teilchen weiter.

Diagnose Mensch: Sie führen ja ein recht hektisches Leben. Wie kommen Sie damit klar?

Higgs-Teilchen: Was sollen diese Fragen nach meiner Befindlichkeit? Ich bin ein Elementarteilchen. Während wir hier sitzen, zerfalle ich Billionen Mal zu allem möglichen subnuklearen Schrott. Ich habe keine Zeit für Gefühle.

Na gut. Aber Sie stehen derzeit ganz schön unter Druck. Seit Peter Higgs vor knapp 50 Jahren Ihre Existenz postuliert hat, werden Sie gejagt.

(grinst) Allerdings! Und hat mich jemand erwischt bisher?

Am CERN hieß es jetzt, die Fahndung werde 2012 zu einem Ergebnis führen.

Das will ich sehen! Diese neue Spur ist doch wie beim letzten und vorletzten Mal total läppisch, und ich werde einen Teufel tun, hier irgendwelche Tipps zu geben, um das zu ändern. Aber zuge­geben, es ist nicht mehr viel Platz zum Suchen da. Habe ich in Ihrer Zeitung gelesen. Und diese Physiker werden besser, ihre Maschinen auch.

Es sind sehr große und sehr teure Maschinen. Der Large Hadron Collider hat ein Budget von 7,5 Milliarden Euro verspeist. Flößt Ihnen das denn gar keinen Respekt ein?

Pfffff. Größe. Geld. Ich glaube eher, dass so etwas ausschließlich den Menschen Respekt einflößt. Auch den Forschern. Deshalb auch diese redundanten Ankündigungen, man stünde kurz davor, mich zu haben, was ja offenbar irgendwann passieren muss, nur, damit es keinen Ärger gibt. Deshalb auch das Gefasel vom Gottesteilchen – ich meine: Danke für die Blumen, aber wenn Gott aus Teilchen wie mir bestünde, würde seine Halbwertszeit nicht mal für einen Mikro-Adam reichen und ER wäre sicher nicht der Schöpfer, denn wie soll das gehen, wenn ich erst nach dem Urknall ins Spiel gekommen bin?

Das sagt zumindest die derzeit anerkannte Theorie, das Standardmodell der Teilchenphysik. Sie, oder vielmehr das Feld, das Sie repräsentieren, verleihen den Dingen eine Masse.

Da liegen Sie jetzt mal fast richtig. Ich bin sozusagen die Kalorienbombe der theoretischen Physik! Manchen Materieteilchen kann ich zwar nichts. Aber anderen kleb ich mich, wenn sie nur doof gucken, wie Schokolade auf die Hüfte. Haha – da hilft bloß keine Diät!

Also, das ist ja wirklich ein toller Vergleich. Aber was, wenn das Standardmodell nicht stimmt? Ist immerhin ein Modell, das viele Dinge ...

Jaja, kann nicht alles erklären – weder den Urknall an sich noch die ersten Sekundenbruchteile danach, nicht die Vakuumenergie, die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt, blablabla. Ist doch alles bekannt!

Ich wollte ja nur ... also, wenn man Sie nicht findet, soll heißen: Was, wenn Sie gar nicht existieren?

Erstens ist das nicht mein Problem, wenn ich nicht existiere. Was heißt das überhaupt: „existieren“? Und zweitens: Haben Sie schon mal was von Supersymmetrie gehört?

Ja. Supersymmetrie könnte das Standardmodell erweitern, aber Sie wären damit ja nicht aus der Welt.

Aber ich wäre nicht mehr so gottverdammt einsam. Dann gäb’s nämlich noch andere Higgs-Teilchen. Sie haben ja keine Ahnung, wie das ist, so allein.

Ich dachte, Sie haben keine Gefühle.

Sehen Sie? Deshalb spreche ich eigentlich nicht mit weiblichen Journalisten. Die wollen immer über Gefühle reden.

Das Gespräch führte Kathrin Zinkant

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