Vegetarismus: Muss das sein?

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Es ist etwas passiert. Ein Ruck ist durch die Bundesbürger gegangen. In deutschen Kühlschränken, wo sich einst Hackfleischpackungen und Milchtüten trafen, reihen sich nun Hafersahne, Sojajoghurts und Seitan-Schnitzel. Zuvor im verborgenen agierende Hersteller vegetabiler Brotaufstriche entdecken die Pressearbeit für sich und verschicken Probenpakete, von denen es aber nicht genug gibt, weil sich alle plötzlich drum reißen. Auf Partys wird mit glänzenden Augen über das neue Leben referiert, das man jetzt führt, und das sich ohne Fleisch bereits zum besseren gewendet hat, hin zum Einklang mit Tierwürde, Körperphysiologie und Natur.

Haben wir denn etwas neues erfahren?

Nein. Außer vielleicht, dass Gammeldöner, BSE-Skandal, Salmonellenhühnchen, Hormonschnitzel und Dioxin in Bioeiern samt der erörterten Ursachen in der Breite derart verpufft sind, dass ein kollektives Erstaunen dieser Größenordnung aus völliger Bewusstlosigkeit heraus jetzt noch möglich ist. Befremdlich dürfte diese Entwicklung jenen erscheinen, die nicht erst durch das Buch eines amerikanischen Autors auf den Trichter gekommen sind, dass es Massentierhaltung gibt und dass diese Massentierhaltung überraschenderweise gar nicht unseren Vorstellungen von Schweineglück oder Hühnerhimmel entspricht. Es gibt Menschen, die essen schon sehr lange kein oder fast kein Fleisch mehr, einfach so, ohne Erleuchtung, Bekehrung oder Ernährungsgläubigkeit, sondern weil sie eine Abneigung gegen die bekannten Methoden der Fleischherstellung hegen. Einige von ihnen ärgern sich jetzt. Sie haben es satt, sich durch den „ Judogriff des Diskurses“ rücklings „in der Gülle des Idylls wiederzufinden, in der Gesellschaft von Gesundheitsspinnern und Naturmystikern“, wie der Vegetariere Jens Friebe kürzlich in der FAZ schrieb. Und auch für Tierschützer muss das alles deprimierend sein: Seit vielen Jahren steigen sie illegal in Tiermastbetriebe ein, drehen Filme, spielen die abscheulichen Dokumente den Medien zu und erhoffen sich Aufmerksamkeit, um dann festzustellen, dass die launige Selbstbespiegelung einer deutschen Schriftstellerin und Fertigkostanhängerin millionenfach größere Wirkung entfaltet als riskante und vor allem: konsequent betriebene Aufklärung.

Aber ist das nicht doch irgendwie gut, weil sich jetzt alle besser ernähren?

Vegetarisch zu essen ist nicht gesünder als ein Leben mit Fleisch. Das ist leider so, auch wenn sich der Aberglaube hartnäckig hält, dass es sich anders verhielte. Es liegt zum einen daran, dass die positiven Effekte von Nahrung ganz generell maßlos überschätzt werden. Obst, Gemüse, Ballaststoffe, nichts von alledem schützt vor Krankheiten oder verlängert das Leben. Zum anderen liegt es daran, dass die schädlichen Effekte von Nahrung auf die Gesundheit lange Zeit auf falsche Ursachen zurückgeführt wurden. Dass Fleisch etwa Krebs macht, hat sich als Irrtum erwiesen, weil Studien, die einen solchen Effekt offenlegten, zunächst keinen Unterschied zwischen verarbeitetem Fleischwaren und Fleisch an sich machten. Tatsächlich hat sich aber gezeigt, dass es wohl die auf gemeinen Wurstpackungen aufgezählten chemischen Zusätze sind, die das Nahrungsmittel Fleisch in ein Gesundheitsrisiko verwandelt.

Was uns zu der Folgefrage bringt, ob vegetarische Lebensmittel da wirklich besser sind.

Wer sich die Mühe macht und mal die Zutatenlisten auf pflanzlichen Pasten, Joghurts und Fleischimitaten vergleicht wird feststellen, dass gerade die nicht ohne Zusätze auskommen. Sojajoghurt zum Beispiel kann zwar aus Soja und Joghurtkulturen hergestellt werden, aber das Ergebnis ist ein graugelber, klumpiger Matsch, der das Auge verwöhnter Konsumenten weit weniger erfreuen dürfte, als die preiswerte, mit Zusätzen aufgemotzte Alternative. Sahneersatz aus Hafer ist auch so ein Beispiel. Ich weiß nicht mehr, was da drin war und mich vom Kauf abgehalten hat, aber es war ernüchternd. Am Ende bleibt festzustellen: Wer sich tierfrei ernähren und nicht in dieselben Imitatfallen tappen will, in die er vorher mit Analogschinken und Schummelkäse getappt ist, hat es weit schwerer, als er denkt.

To be continued.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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