Wissenschaft absurd: Reagenzglasbabyhaut trifft Raucherschweiß

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Ich bin ja sehr dafür, dass alle Menschen das Rauchen aufgeben, ihrer Gesundheit zuliebe und weil es für die anderen eine olfaktorische Zumutung sein kann. Aber wenn Wissenschaftler meinen, sich zu unseriöser Verunglimpfung Nikotinsüchtiger aufschwingen zu müssen, einfach, weil es moralisch wirkt und noch dazu profitabel ist, dann nenne ich das eine blanke Unverschämtheit.

Was ist passiert? Die Deutsche Presseagentur meldet (und wird heute unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert), dass Eltern, die zum Rauchen auf den Balkon gehen, ihre Babys vergiften.

Mon Dieu, wie das? Die hochkonzentrierten Schadstoffe in der Kleidung könne über den Schweiß in die sensible Babyhaut eindringen. Dort töte das Nikotin die zarten, jungen Zellen und hemme die Vernetzung der sich entwickelnden Neuronen. Das hätten Wissenschaftler der „Hohenstein Institute“ [Fehler nachträglich korrigiert, die Autorin] jetzt herausgefunden. Eine publizierte Studie wird nicht zitiert.

Also mal auf der Website gucken: Über eine Vorschaltseite, die für Tests an Antimilbenmatratzen wirbt, gerät man auf die Homepage des Instituts, pardon: der InstitutE, auf der drei Meldungen zum oben beschriebenen Forschungsergebnis präsentiert werden. Schön, let's klick, jetzt könnten wir mehr erfahren! Tun wir sogar, aber erstaunlicherweise nicht vom „Hohenstein Institute“, sondern von msn.com. Ist weniger als wissenschaftliches open access journal verschrien, aber gut.

Die dürftigen Details zur Studie, laut msn.com: Forschern sei es gelungen, dreidimensionale Babyhaut im Reagenzglas nachzubilden und die beschriebenen Effekte zu beobachten, indem man eine von Balkonraucherrauch durchseuchte Jacke auf diese Reagenzglashaut gelegt habe. Es habe sich gezeigt (wie, wird nicht verraten), dass die Schadstoffe über den Schweiß der (nicht mehr in der Jacke steckenden) Raucher in die Babyhaut diffundierten und Zellen töteten.

Angenommen, dass die Mitarbeiter der Hohenstein Institute wirklich dreidimensionale Babyhaut im Reagenzglas engineered oder ein solches Testsystem käuflich erworben habe (wobei – aus was für Babyzellmaterial soll so ein Testsystem eigentlich hergestellt werden?). Angenommen, dass die Schadstoffe aus der Jacke wirklich in die künstliche Haut eindringen. Möglich, dass die Zellen der künstlichen Haut dann sterben.

Aber sterben sie an den Schadstoffen? An Sauerstoffmangel unter der aufliegenden Jacke? Am Schweiß an sich? Woher kommt der denn eigentlich, wenn kein schwitzender Raucher in der Jacke steckt? Könnte die bekannte mangelnde Durchblutung von adulten 3D-Hauttestsystemen vielleicht auch im Babymodus ein klitzekleines Problem sein? Wie oft haben die "Forscher" das getestet? Und letztlich: Wann können wir denn mit der Veröffentlichung eines exakten Studienprotokolls rechnen, bevor die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Alarm schlägt und das Rauchen auf den Balkonen verbieten will?

Was soll man sagen? Egal. Denn die Hohenstein Institute sind nicht einfach bloß Institute, sie sind „Institute für Textilinnovation e.V.“, jawohl, und hat für unverbesserliche Balkonraucher eine praktische Lösung in der Pipeline: Die Anti-Balkonraucherrauch-Beschichtung für Jacken.

Dazu fällt einem wirklich nichts mehr ein. Oder vielleicht doch: Der Projektleiter verzeichnet in der medline genau eine Publikation. Die befasst sich aber nicht mit den schockierenden Effekten von Nikotin an 3D-Reagenzglasbabyhaut, sondern damit, wie gut Hautpilze in der Reinigung aus der Wäsche entfernt werden. Das ist nichts ehrenrühriges. Aber man fragt sich, warum nun so ein Unsinn folgen musste.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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