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Open Source Längst lernt der Wissensbetrieb vom Prinzip der offenen Software: Neue Karten werden von Tausenden Freiwilliger erstellt

Wenn die Kandidaten in der Quizshow Wer wird Millionär? wieder einmal die Antwort nicht kennen und einen Joker einsetzen wollen, belehrt Moderator Günther Jauch sie fast immer darüber, dass der Publikumsjoker – der das statistische Wissen der Zuschauer nutzt – meist die wertvollste Hilfe sei.
Dieses Vertrauen, dass die Partizipation von Vielen Informationen von höherer Qualität hervorbringt, existiert längst auch in Diskussionen darüber, wie Wissen geschaffen und zugänglich gemacht werden sollte. Man orientiert sich an den Prinzipien der Open Source: Der Programmcode für Software wird dabei von gleichberechtigten Entwicklern ohne wirtschaftliche Interessen erstellt und anderen zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Yochai Benkler, Professor an der Harvard Law School, bezeichnet diese Art des Entwickelns als Commons-based Peer Production.

Dass Open-Source-Software nicht nur erfolgreich, sondern auch von hoher Qualität ist, verdankt sie auch einer der sogenannten Linus’-Laws. Formuliert von Eric S. Raymond, dem inoffiziellen Sprecher der Open-Source-Bewegung, und benannt nach Linus Torvalds, dem Initiator der Open-Source-Software Linux, lautet es: „Given enough eyeballs, all bugs are shallow“ – Informationen, die von vielen Augen begutachtet werden, unterliegen einer steten Qualitätssteigerung. Und dieser Mechanismus soll nicht nur in der Softwareentwicklung greifen, sondern zum Beispiel auch in der Produktion von ausformulierten Informationen – wie der Wikipedia.

In Krisen besser als Tom Tom

Schon 2005, als die Wikipedia kaum fünf Jahre alt war, erschien eine Untersuchung von Jim Giles im Wissenschaftsjournal Nature: Die qualitativen Unterschiede zwischen Wikipedia und der altehrwürdigen Encyclopedia Britannica seien marginal. Zwei Jahre später bezog sich auch der Stern auf eine wissenschaftliche Analyse, als er meldete: „Wikipedia schlägt Brockhaus“.

Selbst die Informationen des Geodatenprojekts Open Street Map (OSM) 3 sind den Daten kommerzieller Anbieter wie Navteq oder Tom Tom Global Content in vielerlei Hinsicht zumindest ebenbürtig. Die von Freiwilligen, den sogenannten Mappern, per GPS-Gerät gesammelten Daten weisen hohe Qualität auf, denn sie werden in einem Onlinesystem kollaborativ gepflegt, von Fehlern bereinigt und natürlich in kurzen Zyklen aktualisiert. Die Daten sind den Informationen kommerzieller Anbieter bisweilen sogar überlegen, vor allem in Regionen, deren Erfassung wirtschaftlich nicht lohnt. In Katastrophengebieten mit nahezu vollständig zerstörter Infrastruktur etwa erfassen Mapper und Hilfskräfte intakte Behelfswege und stellen diese Daten umgehend online, sodass daraus unmittelbar stundenaktuelle Karten erstellt werden – die wiederum überlebenswichtig für die Versorgung der Bevölkerung sind.
OSM verdeutlicht jedoch einen weiteren Vorteil des Open-Source-Gedankens, der nicht auf die Produktion des Wissens, sondern dessen Verfügbarmachung und Verbreitung verweist: den Vorteil des offenen gegenüber freien Informationszugangs.

Sammeln für den Konzern

"Frei“ kann sich auf die Kosten beschränken, also entgeltfreie Nutzung bedeuten, es kann allerdings auch Freiheit in politisch-philosophischem Sinne meinen, der den unanhängigen Umgang mit Information und die Möglichkeit, diese weiterzuverwenden, einschließt. Die Unschärfe des englischen Adjektivs free, das beide Konnotationen in sich trägt, führte zur logischen Trennung der lediglich kostenlosen Software (Freeware) und der Open-Source-Software, deren Ansprüche weit über die Kostenfreiheit hinausgehen: Ihr Quellcode muss veröffentlicht sein und darf verändert sowie beliebig weitergegeben werden. Diese Prinzipien haben maßgeblich zum Aufstieg der ehemals belächelten Open-Source-Software beigetragen: Warum sollte man sie also nicht auf Wissensinhalte und Information jedweder Art übertragen?

Diesen Transfer leistet die Open-Definition, nach der wahrhaft offenes Wissen entgeltfrei gelesen, analysiert, weiterverwendet – also neu ausgewertet, modifiziert, kombiniert –, aber auch weiterverteilt und kopiert werden kann. Auch eine kommerzielle Nutzung der Informationen muss erlaubt sein, ferner sollen sie in offenen Dateiformaten verfügbar gemacht werden und frei von Digital-Rights-Beschränkungen sein. Dieser Modus der Verfügbarkeit ist genauso wie die Commons-based Peer Production verantwortlich für den Erfolg und die Qualität der Wikipedia, deren Inhalte permanenter Anpassung und Optimierung unterliegen, und des OSM, das in mancher Hinsicht mit dem Online-Kartendienst Google Maps konkurriert und sich doch eklatant von diesem unterscheidet.Geodaten-Sammler Mikel Maron etwa übte im April 2011 heftige Kritik an Google Maps, er bezichtigte den Konzern einer Ausbeutung der Open Communities. Google startete damals in Afrika Initiativen mit dem Ziel, unterstützt durch NGOs, Regierungen und Bürger, Regionen für den eigenen Kartendienst zu kartografieren. Man imitierte die Art und Weise, wie OSM Daten sammelt. Googles Dienst ist aber nicht offen: Die Daten sind als fertige Karten zwar kostenlos, aber nur im Rahmen sehr enger Vorgaben und eingeschränkt nutzbar. Genau dies, sagt Maron, versuche Google zu vertuschen, um Freiwillige zum Sammeln von Daten zu animieren, die in den Konzernbesitz übergehen.
OSM-Daten hingegen können ohne formale oder technische Einschränkungen in offenen Dateiformaten heruntergeladen werden, in eigenen Werken, die für Websites, Navigationssysteme oder eigene, für individuelle Verwendungen maßgeschneiderte Karten verwendet werden, sie können ergänzt oder umgearbeitet werden, ohne restriktiven Lizenzen unterworfen zu sein oder Entgelte zu kosten. Sie können und werden aufgrund ihrer Qualität sogar in kommerziellen Navigationssystemen verwendet; all dies ist für Google Maps ausgeschlossen. „Frei“ und „offen“ ist eben nicht dasselbe, und nicht wenige stimmen den Aussagen des Open-Knowledge-Aktivisten Rufus Pollock zu, offene Informationsweitergabe fördere Innovation, Effizienz und Transparenz mehr als jeder andere Modus der Bereitstellung. Die Erfolge zahlreicher Open Initiatives jedenfalls untermauern Pollocks Statement.

Ulrich Herb hat soeben Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft herausgegeben (freies Pdf unter bit.ly/Jhsf3b)

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