Zerpflückter Kick

Spielanalyse Wenn Wissenschaftler sich auf den Fußball stürzen, kommen dabei viele Zahlen heraus. Mehr allerdings auch nicht
Zerpflückter Kick

Illustration: Otto

Es gibt Beziehungen, die sind grundsätzlich zum Scheitern verdammt. Kokoseis mit Ananassoße. Griechenland und der Euro. Liz Taylor und Richard Burton. Leider wird die bittere Erkenntnis erst offenbar, wenn andere Gemeinschaften sich in ihrem Glück suhlen. Erfolge feiern. Verkaufsrekorde brechen. Den Topf nach Hause tragen. Was bleibt ist Neid. Und Uneinsichtigkeit.

Das ist auch in der Beziehung zwischen Fußball und Forschung so. Sechs Jahre ist es jetzt her, dass Jürgen Klinsmann die Erneuerung des deutschen Fußballs zelebrieren wollte, mit modernsten Mitteln wie Fitnesstraining, Kinesiologie, Zerstreuung. Und rigoroser, weil wissenschaftlicher Spielanalyse. Die Hoffnungen waren groß, die Erwartungen noch verhalten und das Finale dann alles andere als ein Vergnügen, weil die deutsche Elf bei dieser Langweiligkeit schon Zuschauer war. Das Ausscheiden im Halbfinale wurde trotzdem als Sommermärchen und Erfolg schöngeredet, an dessen Genese natürlich – wenn auch noch weniger prominent – die Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) beteiligt waren. Weshalb man sie in diesem wichtigen Jahr natürlich erneut mit an Bord haben wollte. Was aber ist dieses Mal schief gelaufen, dass im Halbfinale wieder Endstation war?

10 DVDs und 800 Seiten Zusatzinfos je Gegner

Die DSHS hatte zur Perfomance-Optimierung Analyse-Pakete der gegnerischen Mannschaft erstellt. Von so banalen Dingen wie typischen Spielzügen, Verletzungsanamnese, Elfmeterpräferenz und Familienverhältnissen des Gegners bis hin zu aktueller Skandalsoziologie war so ziemlich alles mehr oder weniger Nützliche in den Computer gespeist worden, der dann 10 DVDs und 800 Seiten Zusatzinfos je Gegner ausspuckte, um den Spielern und ihrem Trainer eine perfekte Vorbereitung zu garantieren. „Scouting“ nennt sich das, an der DSHS waren zur EM mehr als 40 Leute abbestellt worden, das würde sich manch ein Patient mit einer seltenen Erkrankung wünschen, dass sich so viele Menschen um einen kümmern. Ein Vertreter des Projektleiters war sogar im Tross von Löws Mannschaft unterwegs, immer ansprechbar, falls die Spieler noch eine Frage hatten (zum Beispiel, wie Mario Balotelli Lücken in der Defensive nutzt). Bei soviel Fortschrittlichkeit durch Wissenschaft hätte kaum mehr etwas danebengehen dürfen!

Nun gab es auch in der Kulturredaktion des Freitag eine Debatte darüber, ob dieser wissenschaftliche Analysewahn nun der Sargnagel für die Titelbestrebungen dieser Fußballnation waren, weil er Elf und Trainer in falscher Sicherheit, wenn nicht gar Überheblichkeit wog. (Bastian Schweinsteiger, auch The Leader genannt: „Angst haben wir keine“). Oder ob die Forscher nicht sogar nötig gewesen waren, um auf europäischem Niveau überhaupt noch vorn mithalten zu können, weil vermutlich jede Mannschaft (außer die Griechen) sich heute so ein organisch-digitales Fuballspektrometer leistet, welches eher der Egalisierung von Grundvoraussetzungen dient, als dass es das Zünglein an der Titelwaage sein könnte. Der Erfolg der Spanier durch völlige Konzentration und Furchtlosigkeit der Spieler in ihrem Kurzpassspiel ließ sich jedenfalls nicht aus den letzten fünf Begegnungen der Mannschaft herauslesen. Auch nicht aus 50 DVDs.

Man landet also wieder bei Bertold Brecht. Er wusste die zwei Todfeinde des Sports zu benennen: Erstens Leute, die aus ihm eine hygienische Bewegung machen wollen nach der Devise, Sport sei gesund. Und zweitens der wissenschaftliche Fimmel, der sich in einer fruchtlosen Überhöhung des Sports als gestaltbares Kunstwerk äußert, und letztlich den Blick darauf verblendet, worum es im Sport geht: Den Gegner umzuhauen.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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