Zwischen Health und Claim

Diagnose: Mensch Lebensmittel dürfen nur noch unter strengen Auflagen mit Gesundheitsaspekten beworben werden. Was gesunde Ernährung nicht viel leichter macht

Es klingt ein bisschen wie ein Gerücht, hält sich als solches aber hartnäckig: Immer wieder versteigen sich Experten zu der törichten Behauptung, dass Essen in erster Linie der Aufnahme von Energie diene. Damit sich der Körper wärmen, immunisieren und bewegen kann. Und damit das beim Menschen besonders kalorienbedürftige Hirn (siehe auch Roh bleibt dumm) seine berühmte Nervennahrung bekommt.

Zum Glück sind nicht alle Forscher so rückwärtsgewandt. Viele künden längst von Größerem: Nahrung ist demnach mehr als bloße Holzkohle für den Körper, sie ist der Stoff, aus dem gesunde Körper gebaut werden, die Medizin, durch die kranke Körper genesen, das Dopingmittel, das aus jedem Körper das Optimum rauskitzelt! Und weil das dem Normalsterblichen oft gar nicht richtig gegenwärtig ist, wenn er mit dem Einkaufskörbchen im Supermarkt steht, brettert ihm die Marketingmaschine der großen Lebensmittelkonzerne seit vielen Jahren alle relevanten Informationen um die Ohren und auf die Augen.

„Health Claim“ lautet der Fachbegriff für Produktinformationen der Sorte „Stärkt das Immunsystem“, „Kräftigt die Knochen“, „Schützt die Gefäße“, „Reduziert Blähungen“ und weil in absolut jedem Nahrungsmittel irgendwas zu finden ist, dass sich gesundheitsspezifisch anpreisen lässt, schafft das auch eine Art Befreiung: Wir dürfen alles essen, weil alles irgendwie gesund ist. In den USA gab es sogar mal einen Schokoladenriegel, der das Herz gesund hielt. Dagegen sah die hier für Kinder angebotene Schokolade mit der Extraportion Milch etwas brav aus, aber sie schmeckte dafür besser, weshalb man das „Hilft beim Wachsen“ gern auch als Erwachsener in Anspruch nahm.

Tomatiger Blutfluss

Ja: Nahm. Es ist nämlich vorbei mit der Freiheit der Claims, und schuld daran ist die EU-Kommission. Vor sechs Jahren hat sie beschlossen, jeden Health Claim einer Prüfung zu unterziehen und ihn zu verbieten, wenn der jeweilige Hersteller des beclaimten Produkts keine Beweise vorlegen, also wissenschaftliche Studien nennen kann, die den Claim untermauern. Wie das bei guter Medizin eben sein muss.

Und nun ist eine erste Liste erschienen, die Erschreckendes offenbart: Nein, Granatapfelsaft schützt nicht vor Blasenentzündungen. Der aktive Joghurt bekämpft den Blähbauch nicht besser als der normale. Auch das immun­stärkende Fläschchen Bakterienmolke: wirkungslos. Die mit Milchpulverfettcreme gefüllte Schokolade: kein Wachstumsmittel. Von gut 1.800 Claims sollen dem Vorschlag der Kommission zufolge künftig 1.600 verboten werden. Fast sieht es so aus, als würde Essen vielleicht doch nur der Energieauf­nahme ...

Aber halt: Es bleiben immerhin noch mehr als 200 Claims übrig, und einmal autorisiert, dürfen sie auch beliebig oft von allen benutzt werden. Es lohnt sich daher, ein paar Pflanzensterole in egal welches Produkt zu schütten, dann kann man „cholesterinsenkend“ draufschreiben – und muss nicht mal auf das Risiko der Überdosierung hinweisen, dass die Sterole nämlich Betacarotin binden, die Vorstufe von Vitamin A, und daher auch zu Mangelerscheinungen führen können. Die guten alten Ballaststoffe gehen auch überall rein, und weil der Joghurt jetzt als Verdauungsregulator wegfällt, ist mit ihrem fulminanten Comeback zu rechnen. ­Etwas moderner ist wasser­löslicher ­Tomatenextrakt, der zu einem „ge­sunden Blutfluss“ verhilft. Klingt doch erstrebenswert. Auch wenn all das an den eigentlichen Problemen der entsprechenden Produkte – zu fett, zu süß, zu salzig, zu stark verarbeitet – noch nicht so viel ändert. Aber so, wie Essen vor dem Tod schützt, dient die Politik eben zuerst der Gesundheit der Verbraucher.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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