Zwischen Pandemie und Diskriminierung

Im Kampf um die Qualmerei pflegen Tabakfreunde den haltlosen Vergleich kaum mit mehr Hingabe als die Gesundheitsschützer selbst

Pressemitteilungen von Rauchervereinen haben den Charme von Flugblättern, wie sie die Zeugen Jehovas verteilen: Man will und kann sie nicht ernst nehmen. Der bemerkenswerte Unterschied zwischen Verein und Sekte besteht darin, dass die Botschaften der Raucher ein gewisses Interesse verdient haben. Vergangene Woche nun hat das Netzwerk Rauchen e. V. sein Unwort des Jahres 2009 gekürt. Es heißt „Pandemie“. Das mag zunächst befremden, ist aber rasch erklärt: Der Verein hält das Wort für eine Verunglimpfung, weil die Weltgesundheitsorganisation nicht nur die Schweinegrippe zur Pandemie erklärt hat, sondern auch die Verbreitung des Tabaks, respektive des Rauchens. Eine Parallele, die nach Auffassung des Netzwerks nicht trägt, denn Rauchen ist nicht ansteckend und die Schweinegrippe nicht tödlich. So, wie es sich bei der Grippepandemie um ein „Panik- und Angstszenario“ gehandelt habe, handle es sich auch bei der Tabakpandemie nur um eine Hysterie. Alles klar?

Leider hat sich die Gegenseite in der Vergangenheit kaum minder lächerlicher Konstrukte bedient. So posaunte das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) 2005 zur berühmten Passivrauchstudie aus, an dem indirekt inhalierten Rauch stürben so viele Nichtraucher, wie an „illegale Drogen, Asbest, BSE und SARS“ zusammen – nämlich 3.300. Klingt schrecklich, ist inhaltlich aber kaum weniger absurd als nun der Vergleich mit der Schweinegrippe. Weil das DKFZ sich mit dem Schutz Unschuldiger aber die moralisch korrekte Botschaft auf die Fahne geschrieben hatte, liest man die fragwürdige Zahl jetzt in jeder medizinischen Arbeit zum Thema.

Im realen Kampf gegen das Rauchen versagen die Institutionen dagegen auf ganzer Linie. So hat Hessen eben erst sein Nichtraucherschutzgesetz gelockert. Die Aschenbecher kehren nicht nur in die Diskotheken zurück. Auch in hessischen Krankenhäusern und Sportanlagen darf wieder geraucht werden. Wo sonst sollten krebskranke Opis und angefixte Elfjährige auch hin mit ihrer Sucht? Eine Sucht, die, wie wir jüngst wieder einmal erfahren durften, immerhin vor Alzheimer und Parkinson schützt – die Patienten zumindest, die vorher nicht von Bronchialkarzinom oder Schlaganfall hinweggerafft werden. Eine gute Perspektive, auch aus gesundheitspolitischer Sicht: Wer früh stirbt, spart Rente und Behandlungskosten. Wer alt wird, ohne zu verschusseln, kann länger arbeiten und Steuern zahlen.

Es leuchtet mithin ein, dass die schon fast ausgemusterte Tabakwerbung weiter ihren Dienst verrichtet, und zwar äußerst wirkungsvoll, wie eine aktuelle Studie der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) für die Altersgruppe der zehn- bis 17-Jährigen zeigt. So galoppieren die Nachfolger des an Lungenkrebs verstorbenen Marlboro-Manns weiter, gleich neben den Tabakläden und Zigarettenautomaten, die sicherstellen, dass die Bürger auch künftig weiter rauchen können – und die Staatskasse mit mehr als Dreiviertel des Verkaufspreises, also rund vier Euro pro Schachtel und 14 Milliarden Euro pro Jahr, aufbessern.

Vor diesem Hintergrund ist schon seit Jahren klar, dass der Kampf gegen das Rauchen über Scheinsiege nie hinauskommen wird. Weil er es gar nicht soll. Das öffentliche Mitgefühl müsste mithin jenen Vereinen wie dem Netzwerk Rauchen e.V. gehören, die sich auf einem Kreuzzug für ihre Freiheitsrechte und wider die Diskriminierung wähnen. Damit machen sie sich zwar lächerlich. Letztlich sind sie aber nichts weiter als ein Spielball von Tabaklobbyismus und staatlicher Korrumpierbarkeit. Die Politik schaut derweil lieber zu, als 20 Millionen Suchtopfern aus der Klemme zu helfen. Ein Grund mehr für einen anderen Vorschlag zum Unwort des Jahres: Wie wäre es mit „Gesundheitspolitik“?

Das Unwort des Jahres heißt nicht ­„Pandemie“ sondern „Gesundheitspolitik“.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

Kathrin Zinkant

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