Karneval in der Hauptstadt der Bewegung

NS Doku-Zentrum Manege frei für "Die Rechte" gegen das NS-Dokumentationszentrum. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof macht's möglich. Begründung: mangelnde Symbolkraft von Tag und Ort.

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Manchmal haben die traurigsten Schauspiele eine unfreiwillige Komik. Vielleicht ist es die Schadenfreude über die Lächerlichkeit des traurigen Clowns, die uns umso mehr über ihn lachen lässt. Vielleicht muss man aber auch nur versuchen zu lachen, wenn einem zum Heulen zu Mute ist. In München hat sich am 30. April 2015 ein solches Schauspiel ereignet. Die Artisten in der Manege: Die Stadt München, "Die Rechte" und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Kommen Sie rein, schauen Sie zu! Es könnte unterhaltsam werden.

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15:15 Uhr. Vor 15 Minuten sollte es eigentlich losgehen, aber noch ist von den angekündigten zehn Demonstranten der Partei "Die Rechte" keine Sicht. Die Gegendemonstranten, überwiegend unter 30, aber auch einige Rentner und Mütter mit Kindern, stehen etwas unschlüssig hinter ihrer Absperrung und auch der Pressesprecher der Münchner Polizei Sven Müller scheint etwas verwirrt über die Verspätung. "Wenn einer demonstrieren will ist er ja normalerweise auch pünktlich." Auf die Nachfrage, wie lange denn das Aufgebot von etwa 40 Polizten warten würde, zuckt er mit den Schultern und meint nur, das gäbe dann wenigstens eine Abmahnung für die Veranstalter oder so.

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15:44 Uhr. Mit über halbstündiger Verspätung bauen die erwartungsgetreu zehn Demonstranten der "Die Rechte" in einem säuberlich abgesperrten Viereck von etwa 30 Quadratmeter ihr Equipment auf. Ein Strauß von Lautsprechern wird auf dem Dach eines Kleinwagens montiert. Auf der anderen Seite der Absperrung verteilen die Gegendemonstranten Konfetti, Luftschlangen und Glitzerplakate. Ein bißchen wie im Zirkus. Es fehlt nur Popcorn.

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Ein kurzer Soundcheck der Lautsprecheranlage gibt ein Ohren betäubendes Quietschen von sich. Die Gegendemonstranten (sie waren in der Mehrzahl pünktlich) johlen belustigt auf. "Noch original vom Reichsparteitag, was?" ruft einer. Die Lacher sind auf seiner Seite. Auch ein paar der sonst stoischen Polizisten, die in voller Kampfausstattung zwischen den beiden Personengruppen stehen, können sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

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Nach einigen Versuchen ergreift dann der Kreisvorsitzende Philipp Hasselbach das Wort und legt unvermittelt los.

Es sei ein erfreulicher Tag, ein Tag an dem das Grundgesetz gesiegt hätte.

http://www.kathrinaedinger.de/images/30April2015/IMG_2659.jpgDank der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nämlich darf diese Veranstaltung überhaupt stattfinden. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat hatte diese ursprünglich abgelehnt. Erst am Morgen hatte es auf der Facebook-Seite des Kreisverbands München "Die Rechte" die Runde gemacht:

"Wir werden heute Knobloch, Rose, Seehofer und Co. in die nationalmasochistische Betroffenheitssuppe spucken!"

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Zeitgleich und unweit der kleinen rechtsextremen Veranstaltung finden nämlich die Eröffnungsfeierlichkeiten des Münchner NS-Dokumentationszentrum statt. Unter den Gästen: Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch und Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose - offensichtlich die Adressaten der Suppenverunreinigung.

Solche Veranstaltungen, die Hassparolen gegen Flüchtlinge und Ausländer im Allgemeinen, die Absagen gegen sogenannten "Schuldkult" und die Parolen zugunsten eines stolzen deutschen Nationalsgefühls sind nichtgerade schön - aber leider kein Einzelfall mehr, seitdem sich in den zahlreichen -GIDA-Spaziergängen nicht nur "meinungsstarke" Bürger, sondern auch eindeutig Rechtsextreme in Wort und Plakat-Schrift äußern.

Tatsächlich ist auch weniger der Inhalt der Veranstaltung (Motto: Gegen antideutschen Schuldkult - Weg mit dem NS-Dokumentationszentrum) das Interessante (oder Überraschende), sondern die Diskussion und Entscheidung um ihre Legitimität, Ort und Datum.

Der TAG: Der 30. April: (k)ein "symbolkräftiger" Tag

Am 30. April 1945 rückten die Amerikanischen Truppen in München ein und beendeten damit den Krieg in der unter den Nationalsozialisten propagierten "Hauptstadt der Bewegung". München hatte diesen Titel die langen Jahre der NS-Diktatur mit Stolz getragen. Die Stadtverwaltung hatte sich mit ihrer Bedeutung für die nationalsozialistische Bewegung bei zahlreichen Gelegenheiten profiliert und mit ihrer Architektur, wie dem Königsplatz, oder kulturellen Veranstaltungen, wie dem "Tag der Deutschen Kunst", fleißig Treue und Anteilnahme am großen Wirken des "Dritten Reichs" demonstriert. Der 30. April 1945 ist außerdem der Tag, an dem sich Adolf Hitler in Berlin das Leben nahm.

70 Jahre später hat München es nun geschafft nach langen Jahren der Planung und Bautätigkeit das NS-Dokumentationszentrum zu eröffnen. Ein Ort, an dem die Erinnerung und Aufklärung der nationalsozialistischen Diktatur und ihre Nachwirkungen bis heute einen adäquaten Raum haben soll.

Der ORT: mitten in den Rudimenten der NS-Architektur

Der Standort des Dokumentationszentrum ist dabei nicht unbedeutend: Er erhebt sich modern zwischen dem Königsplatz, dem ehemaligen Aufmarschplatz der Nationalsozialisten, und dem Rondell des Karolinenplatz, an dem sich das Amerikahaus, Veranstaltungsort für die offiziellen Eröffnungsfeierlichkeiten, befindet.

Nun war es seit Tagen bekannt, dass der Kreisverband München der neonazistischen Partei "Die Rechte" eine Demonstration gegen das NS-Dokumentationszentrum an dessen Eröffnungstag abhalten wollte. Nachdem das Münchner Kreisverwaltungsreferat dieses abgelehnt hatte, zog die Partei vor das Bayerische Verwaltungsgericht - und bekam Recht.

Die mündliche Begründung des pressebeauftragen Richters Dr. Klaus Löffelbein: Das Datum der Veranstaltung (zur Erinnerung: 30. April) weise keine ausreichende Symbolkraft auf, um eine Demonstration zu verbieten. Allerdings erlaubte der VGH die Veranstaltung nur unter der Bedingung, dass diese nicht direkt am Karolinenplatz, sondern an einem anderen Ort stattfinden müsse, allerdings mit der Möglichkeit auf "Sichtbezug zum Amerikahaus".

Da hatte sich Philipp Hasselbach, Kreisvorsitzender der "Die Rechte", wohl über seinen Sieg gegen die Stadt gefreut.

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Und das Wetter spielte auch noch mit! Um sich die Veranstaltung am "nicht symbolkräftigen" Tag mit indirektem Sichtbezug (tatsächlich konnte man dann vom Demonstrationsgatter doch nicht direkt auf das Amerika-Haus blicken) etwas besser vorstellen zu können, eine kleine Panoramaaufnahme:

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16:14 Uhr. Philipp Hasselbach hat bereits gute 20 Minuten angestrengt ins Mikrophon protestiert. Zwischendrin muss er kurz absetzen und raunt seinen Mitdemonstranten zu, sie sollen ja das Plakat gerade halten.

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Nachdem er sich ausgiebig über den Triumpf des Grundgesetzes ausgelassen hatte (den Bescheid des VGH unterstützend zur Hand), unterhält er seine Zuhörer mit Anekdoten über die Mißstände im Wohngebiet um die berühmt-berüchtigte Bayern-Kaserne, das größte Flüchtlingsheim in München. Eine der Demonstrantinnen (vermutlich eine ältere Dame ohne schwarze Jacke/Flagge/Sonnenbrille) würde nämlich dort leben und müsse das Verhalten der Flüchtlinge regelmäßig mit ansehen. Zum Beispiel: Stuhlgänge auf offener Straße (Anm.: dies ist ein sprachlich bereinigtes Zitat von Hasselbach).

Wohl um Hasselbach eine kurze Verschnaufspause zu geben, wird zwischendrin in schepperndem, ja tatsächlich etwas nostalgischem, Ton die ehemalige Fassung der Nationalhymne gespielt. Drei Strophen lang. Der Text ist kaum zu verstehen. Der Pressesprecher des Polizei Sven Müller schmunzelt etwas verwirrt im Abseits und raunt einem Kollegen zu, dass er sich nicht sicher sei, welche "Inhalte" da gerade zu hören seien.

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Die Gegendemonstranten, die zwischenzeitlich statt Konfetti selbstgepflügten Löwenzahn werfen, geben mit Trillerpeifen und Gesängen ihr Bestes, Hasselbach zu übertönen. Ein paar der Gegendemonstranten scheint außerdem in den Kalender geschaut zu haben. Auf ihren Plakaten stehen Sprüche wie "30. April. Hitler tot."

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Nun aber zurück zur viel diskutierten Symbolkraft. Der 30. April 2015 dient offenbar als sinnvoller Tag, um die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrum zu begehen. Er stellt aber zugleich keinen (ausreichenden) symbolkräftigen Bezug zum Nationalsozialimsus dar, der damit der Partei "Die Rechte" das Veranstaltungsdatum verbieten würde. Zugleich darf die Demonstration gegen das NS-Dokumentationszentrum nicht unmittelbar vor der Feiergesellschaft im Amerika-Haus stattfinden, aber man müsse einen Ort mit direktem Sichtbezug ermöglichen (eine verkehrstechnische Begründung kann nicht vorliegen, nachdem der gesamte Karolinenplatz gesperrt wurde). Auf die Nachfrage an den pressebeauftragten Richter des Vewaltungsgerichts Löffelbein, welcher Tag denn ausreichende Symbolkraft für ein Verbot hätte, war dieser etwas ratlos. Ich schlug ihm den 20. April vor, Adolf Hitlers Geburtstag, an dem zuletzt die NÜGIDA aus Nürnberg nach städtischem Beschluss nicht demonstrieren durfte und ihren Spaziergang um einen Tag vorverlegen musste. Ja, Hitlers Geburtstag wäre wohl so ein Fall, räumte Löffelbein ein.

Offenbar gibt es also einen Unterschied zwischen jenem Tag, an dem Hilter geboren wurde und jenem, an dem er Selbstmord begang und die Alliierten die ehemalige "Hauptstadt der Bewegung" befreiten. Außerdem scheint eine direkte Demonstration gegen den "Schuldkult" vor den überlebenden Opfern und Angehörigen des NS-Regimes unangebracht, ein "Sichtbezug" müsse aber ermöglicht werden. Das erinnert mich an den fatalen Fehler beim Versteckspiel, wenn sich Kleinkinder die Augen zuhalten und "Du siehst mich nicht" rufen.

Tatsächlich scheint das Urteil zugunsten der Partei "Die Rechte" wie Augenwischerei. Da helfen alle NS-Dokumentationszentren der Republik nichts, wenn in den Verwaltungen und Regierungen kein bewusster und sensibler Umgang mit der Bedeutungskraft von Orten und Daten gepflegt wird. Wie wirkungsmächtig die Besetzung des öffentlichen Raums zu bestimmten Zeiten sein kann hätte man ja nicht zuletzt von den Nationalsozialisten selber lernen können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kathrina Edinger

Freie Journalistin und Historikerin. Schwerpunkte im Bereich Gesellschaft, Jugend, Migration, Zeit- und Kulturgeschichte, v.a. in TV/Film und Hörfunk

Kathrina Edinger

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