Staatstrojaner und "My little Pony"

SIGINT12 Bei der SIGINT12 trafen sich am Wochenende Hacker (und ein paar Hackerinnen) in Köln und diskutierten über Urheberrecht, Cyberpeace und Feminismus für Nerds

Es ist Freitag, 23 Uhr im Kölner Mediapark. Eine junge Frau schleicht durch die Häuserschluchten. Sie trägt einen Beamer vor sich her. Wie eine große Taschenlampe wirft das Gerät ein weißes Rechteck aus Licht auf die Dinge. Es rückt Nischen in den Fokus, die zwar immer da sind, aber sonst nie auffallen, durchdringt Glasfassaden und zaubert skurrile Schatten an die Wände. Vera Drebuschs poetischer "BeamerWalk" gehört zum künstlerischen Rahmenprogramm der SIGINT12.

Die zweitgrößte Veranstaltung des Chaos Computer Clubs (CCC) neben dem Berliner Chaos Communication Congress fand am vergangenen Wochenende in Köln statt. Der "BeamerWalk" eröffnet eine ganz einfache Perspektive auf das Hackertum, das hier gefeiert wird: Eine Technologie wird anders verwendet als es der Mainstream vorschreibt und ermöglicht dadurch einen neuen Blick auf Dinge und Strukturen.

Für Unbedarfte reicht so eine Minimaldefinition als Einstieg ins Hacker-Universum. Den Rest erledigt die SIGINT12 in 72 atem- und (dank exzessivem "Club Mate"-Konsum) zum Teil schlaflosen Stunden. Denn Hacktivismus ist mehr als Medienkunst. Es geht um das Wissen von Programmierern und Informatikern in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, das in Zeiten der zunehmenden Vernetzung besonders wertvoll ist.

Wie Neo aus der "Matrix"

Florian Walther spricht in seinem Eröffnungsvortrag von einem "Tsunami der digitalen Revolution" und schwört mit fast religiösem Pathos die "Hacker-Gemeinde" gegen die Anderen, die "Vordigitalen", ein. Die Kampfrhetorik erinnert an Neo und die Matrix und erscheint überflüssig. Denn die Themen, die hier in Workshops, Vorträgen und Panels behandelt werden, sind auch ohne Gänsehaut brennend relevant.

Hacken, das bedeutet im Sinn der SIGINT12: Sicherheitslücken in den allgegenwärtigen IT-Systemen aufzustöbern und verantwortungsvoll offenzulegen, sodass sie zum Schutz der digitalen Gemeinschaft behoben werden können. "Einen 0-day fixen" heißt das hier oder: "das Betriebssystem de-buggen". Damit kennt sich der 1981 gegründete Chaos Computer Club aus, wie Constanze Kurz in ihrem Update zum sogenannten Staatstrojaner-Hack vom Oktober 2011 verdeutlicht. Die ehrenamtliche Sprecherin des CCC skizziert, wie der Club im letzten Jahr die Software analysiert hat, mit der deutsche Strafverfolgungsbehörden die Rechner von Verdächtigten infiltrieren und überwachen. Dabei kamen eklatante Sicherheitslücken ans Tageslicht. Es zeigte sich, dass die Privatsphäre der Überwachten gefährdet ist und ihre Rechnersicherheit auch vor dem Zugriff Dritter nicht geschützt werden kann.

Hinzu komme, moniert der CCC, dass die umstrittene Methode nicht einmal gerichtsfeste Beweise liefere. Die Behörden hatten nach dem Hack Besserung gelobt, aber echte Neuigkeiten gebe es davon nicht zu berichten, sagt Kurz.

Der Inkompetenz der Behörden, bei denen die Software "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" heißt, steht der Unwillen der Hacker gegenüber, ihr Know-How in den Dienst staatlicher Überwachung zu stellen. Das hat nicht nur mit der schlechten Bezahlung zu tun, sondern in erster Linie mit einer Hacker-Ethik.

Über die Macht, die Computer-Wissen auch global bedeuten kann, sprachen Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft vom "Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (FIfF) in ihrem Vortrag zum Thema "Cyberpeace". In etwa 140 Ländern weltweit gebe es bereits militärische Einheiten, die sich mit Cyber-Attacken beschäftigten. Solche digitalen Angriffe legten nicht nur kriegsrelevante Technologien lahm, sondern auch Infrastruktur wie Strom- oder Wasserversorgung.
Hier fehlten die notwendigen IT-Sicherheitsmaßnahmen, und ziviler und militärischer Schaden seien kaum auseinanderzuhalten. Auch würde zwischen Cyber-Kriminalität und digitalem Krieg nicht trennscharf unterschieden, sodass im schlimmsten Fall ein militärischer Schlag gegen Urheberrechtsverletzungen drohe oder reale Gewalt als Antwort auf virtuelle Angriffe. Wenn die Friedensaktivisten von Cyberpeace sprechen, meinen sie etwa die Abrüstung der politischen Sprache und eine digitale Genfer Konvention.

Die Zeitung als Relikt

Die Stärke der SIGINT12 liegt darin, dass sie solche großen Themen mit Spielerisch-Leichtem verwebt. Urheberrecht und Vorratsdatenspeicherung werden hier ebenso engagiert diskutiert wie die Serie My little Pony. Es gibt Tipps für das deutsche Bildungssystem und zur Smartphone-Sicherheit. Und in Workshops werden nicht nur Roboter programmiert, sondern auch Stickmaschinen. Der Strafverteidiger und Blogger Udo Vetter wird gefeiert wie ein Star-Comedian, und man lauscht mit heiligem Ernst, wenn jemand die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook referiert. Die sogenannten "Lightning-Talks" (Blitz-Vorträge) treiben es auf die Spitze: Jeder, der möchte, bekommt fünf Minuten Zeit, um ein Thema seiner Wahl vorzustellen. Die Themenvielfalt kennt keine Grenzen, und dazu wird getwittert und gebloggt, dass einem Zeitungsjournalismus wie ein Relikt vorkommt.

Und dann wäre da noch eine Kleinigkeit. Dieser Text spiegelt das Geschlechter-Verhältnis unter den Konferenz-Teilnehmern nicht annähernd korrekt wieder. Wenn auch auf den Podien beeindruckend präsent, so waren die Hackerinnen doch insgesamt deutlich in der Unterzahl – wie sie das eben in den technischen und naturwissenschaftlichen Gefilden meistens sind. Aber es gibt Hoffnung. Philip Steffan leistete in seinem Vortrag "Feminismus für Nerds" Basisarbeit in Sachen Anti-Sexismus für seine Geschlechtsgenossen, und Laura Stumpp forderte in einem Lightning-Talk: "Heterosexismus hacken!"

Man traut der Community zu, dass sie bis zur SIGINT13 irgendwo zwischen dem piratischen Postgender und einer NerdInnen-Quote kreative Lösungen für den Gender-Bug findet.

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Geschrieben von

Katja Grawinkel

Autorin und Kultur-/Medienschaffende mit den Schwerpunkten Gender und Performance Kunst.

Katja Grawinkel

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