Ein Abschied voller Bedauern

Piratenpartei Die Linken-Chefin Katja Kipping schreibt, warum das Kentern der Piraten bei ihr keine Freude auslöst
Ausgabe 47/2014

Ja, die Piraten waren bei Wahlen eine Konkurrenz für die Linke. Ja, es hat mich mehr als einmal geärgert, wenn ich erlebte, dass es ihnen gelang, links-libertär eingestellte Menschen als Mitstreiter zu gewinnen, ohne als Partei in Gänze linke Politik zu machen. Ja, es gab einen Aderlass nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei aktiven Mitgliedern zu den Piraten. Als ich im Jahr 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger zur Vorsitzenden der Linken gewählt wurde, war eines meiner Ziele, diesen Aderlass in Richtung Piraten zu beenden.

Und dennoch will angesichts der Abgesänge auf die Piratenpartei und der vielen Austritte bei mir keine rechte Freude aufkommen. Nicht einmal ein öffentliches und offensives Abwerben all der links-libertären potenziellen Ex-Piraten will mir über die Lippen kommen. Und wenn ich mich in meinem Freundeskreis umhöre, merke ich: Ich bin mit diesem leisen Bedauern nicht allein.

Ahnen wir, dass wir in zukünftigen Wahlkampfzeiten ihre Plakatmotive vermissen werden? Immerhin gelang es ihnen, einen unkonventionellen Wahlkampf zu führen. Und sowohl mit den Wahlkämpfern als auch mit den Menschen, die sie auf ihren Plakaten abbildeten, konnte man sich gut vorstellen, abends im Spätshop noch mal bei einem Club-Mate auf einen Plausch stehen zu bleiben.

Von Bus bis Feminismus

Warum ist das so? Liegt es an einigen ihrer provokanten Aktionen, die uns schmunzeln ließen? Das hatte schon was, als einige Piratinnen die Berliner Medienschar zum Brandenburger Tor einluden, mit der Ankündigung, sich zur Unterstützung der hungerstreikenden Flüchtlinge oben zu entblößen. Die Journalisten waren auch prompt – wie erwartbar! – mit großen Kameras zur Stelle. Um dann große Augen zu machen, als ihnen die Frauen lediglich T-Shirts mit der Aufschrift „Human Rights, Not Tits!“ präsentierten. Das war Medienkritik und öffentliche Aufmerksamkeit für Flüchtlingskämpfe in einem.

Liegt es daran, dass die Piraten im Berliner Wahlkampf sich zum Grundeinkommen und zum kostenlosen öffentlichen Nahverkehr bekannten? Und das auch noch plakatierten? Wodurch alle, die bisher im Brustton der Überzeugung verkündeten, das Grundeinkommen sei den Wählenden nirgendwo zu vermitteln, mit ansehen konnten, wie die Piraten trotzdem oder vielleicht auch deswegen mit einem guten Ergebnis ins Berliner Parlament einzogen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der aktuelle Zustand der real existierenden Piratenpartei gibt keinerlei Anlass für heimliche oder offene Sympathieerklärungen. Zu einer realistischen Beschreibung der Piraten gehört auch, dass gerade aus ihren Reihen in übelster Weise gegen Feministinnen zu Felde gezogen wurde. Die schöne neue Welt von Twitter, Facebook und Tumblr ist auch eine wahre Fundgrube für mackerhafte Entgleisungen. Die bekannte Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg schreibt in ihrer Austrittserklärung über die Piraten: „Ich kann nicht mehr ertragen, dass rechte Gefahren verharmlost und linke herbeigeredet werden.“ Diese Austrittserklärung sollte allen (heimlichen) Piratensympathisanten die Hoffnung nehmen, dass das noch was werden könnte.

Allein der Umgang mit dem Thema Grundeinkommen offenbart die Schwäche der Piraten. Zwar bekannten sie sich größtenteils zum Grundeinkommen; als jedoch die Debatte über die Ausgestaltung losging, war so manches Modell meilenweit von dem entfernt, was die Grundeinkommensbewegung an Ansprüchen an ein emanzipatorisches Grundeinkommen formuliert hat. Und als der damalige Piraten-Vorsitzende Bernd Schlömer die Debatte vor TV-Kameras lapidar zusammenfasste, war unklar, ob er wirklich ein Grundeinkommen oder nicht doch eher Hartz IV im Sinne hatte.

Eben jener Piraten-Vorsitzende unterstrich in einer öffentlichen Debatte mit mir auch mehrmals, dass die Piratenpartei keine linke Partei sei. Diese Überzeugung, man sei weder links noch rechts, ist typisch für den postdemokratischen Zeitgeist. Die Piratenpartei in Gänze (einzelne Mitglieder haben sich da sehr wohl anders positioniert) war so gesehen ein Geschöpf jener postpolitischen Illusion. Die Heftigkeit, mit der gelegentlich behauptet wird, die Links-Rechts-Achse sei abzulehnende Ideologie, trägt selbst ideologische Züge. Letztlich – und das ist der geschickte Dreh aller vermeintlichen Anti-Ideologen – wird nämlich nur das Hinterfragen der bestehenden (ökonomischen) Machtverhältnisse als Ideologie beschimpft. Die stoische Verteidigung oder die stillschweigende Akzeptanz der bestehenden Machtverhältnisse hingegen kommt gern ideologiefrei daher. Dabei ist auch die Zementierung des Bestehenden eine Parteinahme – und zwar im Sinne der Herrschenden. Denen kann nichts Besseres passieren als eine postpolitische Passivierung der Beherrschten.

Jene postdemokratische Illusion ist auch aus originärer Piratensicht in zweifacher Hinsicht tragisch. Zum einen führte genau die komplette Abwesenheit eines übergeordneten Kompasses, einer über die Transparenzforderung hinausreichenden, inhaltlich grundlegenden Gemeinsamkeit dazu, dass die Verschiedenheiten der Mitglieder destruktive Sprengkraft entfalteten.

Es geht um Machtverhältnisse

Hinzu kommt: Wer wirksam Netzpolitik betreiben möchte, muss auch im Netz ran an die herrschenden Verhältnisse. Ansgar Oberholz, der Betreiber des gleichnamigen Kult-Cafés der digitalen Bohème, brachte es im Oktober 2011 im prager frühling treffend auf den Punkt: „Im Netz spiegeln sich die Machtverhältnisse wieder.“ Allein die Debatte über Netzneutralität sollte uns die Augen dafür öffnen, dass auch im Internet große Konzerne nach Vorfahrtsregeln streben. Wer den Markt beherrscht, bestimmt am Ende die Spielregeln. Leider geht der postpolitische Zeitgeist nur zu gern Hand in Hand mit Abneigungen gegen eine nüchterne Analyse der real existierenden ökonomischen Machtverhältnisse.

Das Bedauern gilt also weniger der real existierenden Rest-Partei als dem, wofür sie einen Wimpernschlag der Parteiengeschichte lang stand. Das Bedauern gilt eher der Imagination, dem Uneingelösten.

Inzwischen ist klar: Die Krise der Piraten ist mehr als eine vorübergehende Flaute. Das anfänglich so flott wirkende Schiff ist auf Grund gelaufen und wird nicht mehr Fahrt aufnehmen. Die Ursachen dafür liegen nicht nur in äußeren Umständen, sondern auch in der Konstitution der Piraten, in erster Linie an ihrer postpolitischen Grundanlage.

In Zeiten der Postdemokratie, wo der Widerspruch zwischen der Idee der Demokratie und einer Politik, die nur noch angebliche Sachzwänge der Finanzmärkte exekutiert, offensichtlich wird, gilt es über die Verteilung des Reichtums und die Gefährdung der Demokratie durch ökonomische Macht zu reden. Darüber – und damit auch über die klassische Differenz zwischen Rechts und Links – wollte eine Mehrheit der Piraten lieber schweigen. Stattdessen erfreuten sich wirtschaftsliberale Ansätze in der Partei großer Beliebtheit – das emanzipatorische Potenzial der liquid democracy verkam so zur basisdemokratischen App zur Selbstgeißelung.

Die Abneigung der Piraten gegen Umverteilung als gesellschaftliches Thema zeigt sich auch in ihrer eigenen Praxis. Es gibt zum Beispiel keine nach Einkommen gestaffelten Mitgliedsbeiträge. Fahrtkosten zum Parteitag werden nur für Helfer bezahlt. Mitbestimmung hängt so auch vom Geldbeutel ab.

Ja, die Piraten waren Geschöpfe des postpolitischen Zeitgeistes. Warum also dieses leise Bedauern angesichts ihres langsamen Kenterns? Wahrscheinlich ahnen wir, dass wir diesen oft nerdisch wirkenden Versuch, die politische Landschaft aufzumischen, angesichts des sich abzeichnenden autoritären, gesellschaftlichen Rechtsrucks vermissen werden. Zudem gelang es den Piraten, viele Menschen für (Partei-)Politik zu begeistern, die bisher nicht in Bewegungen oder Organisationen verankert waren. Was für ein Verlust für die Demokratie, wenn diese sich nun voll Enttäuschung wieder von Politik abwenden! Rückzug ins Private statt Aufbruch zu den sieben Weltmeeren? In das leise Ahoi voller Bedauern mischt sich eine fast trotzige Hoffnung. Die Hoffnung, dass all jene, die mit den Piraten aufbrachen, die Politik aufzumischen, und nun ein Scheitern erleben, doch noch eine Alternative zum Rückzug ins Private finden.

Wenn das berechtigte Unbehagen an der bisherigen Parteipolitik in eine Negation der Unterschiede zwischen links und rechts mündet, werden am Ende die Herrschenden gestärkt. Das Ungelöste des Aufbruchs der Piraten steht weiterhin im Raum – als Aufforderung an uns alle.

Katja Kipping, 36, steht seit rund zweieinhalb Jahren mit Bernd Riexinger an der Spitze der Linkspartei. Sie wirbt u.a. für ein Grundeinkommen

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