Zunächst ein herzliches „Ahoi“ an die Leserinnen und Leser in Aschersleben, Boltenhagen, Schramberg, Witten, Feucht, Meerane, Kirchheim unter Teck und Groß-Gerau. In dieser Woche ist es mir ein besonderes Bedürfnis, in die Breite zu denken und zu schreiben, auch geografisch. Denn in Berlin, dem größten Dorf der Republik, ist gerade Fashion Week – und ich verspüre Heimweh. Eine heftige Sehnsucht nach irgendwo. Im Irgendwo bin ich geboren, wie 92,7 Prozent der Menschen, die ich in Berlin kenne. Friedrichsdorf heißt das Irgendwo, aus dem ich komme. Alle anderen sind ebenfalls in einem Friedrichsdorf groß geworden, wie immer jenes Friedrichsdorf im Einzelnen heißen mag. Fakt ist: Ohne Friedrichsdorf kein Berlin.
„Und was hat das mit Fashion zu tun?“ – kann man an dieser Stelle direkt mal fragen. Ach, ich weiß es ja auch nicht so genau. Ich weiß nur: Ich will weg!
Das hat mit den Einladungen zu tun, die seit den vergangenen Tagen via Elektropost bei mir eingehen, hier auf meinem Redaktionsaccount. Es fing damit an, dass mir das Erlebnis einer Lookprobe offeriert wurde. „Eine Lookprobe, aaaach, nicht schon wieder!“, dachte ich, pseudocool, als ich die entsprechende Betreffzeile las. (Pseudocool, weil ich vor mir selbst nicht zugeben wollte, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was bei einer Lookprobe geschieht, ob das gefährlich ist und so weiter.) Um neun Uhr morgens sollte das losgehen, das war das Erste, was ich der verschlungenen Nachricht als gesicherte Information entnehmen konnte. „Neun Uhr? Ach nee. Is ’n bisschen früh, was?“ – fand ich.
Einige Zeilen darunter stand, in Blutegelrot hervorgehoben: „Dieser Lookproben-Termin ist in dieser Saison der einzige, an der die Presse zugelassen ist; Designer sind teilweise vor Ort.“ Da fuhr ich zusammen. Designer sind teilweise vor Ort! Welche Teile, von welchen Designern? Die Augenbrauen von Karl Lagerfeld? Die Lippen von Donatella Versace? Die Nase von Yves Saint Laurent? „Yves Saint Laurent ist tot, du Tröte!“, erklärten die Kolleginnen und Kollegen aus der Abteilung Art Direction at Freitag, als ich sie fragte, was man wohl trägt zu so einer Lookprobe. Die Ober-Art-Direktorinnen-Assistenten-Assistentin warf einen Blick auf die Modemail und sagte: „Pfff! Das ist ein ganz billiger Haarspraytermin, da lädt ein Shampoohersteller ein, da wirst du doch nicht hingehen?“ – „Wieso denn nicht?“, pampte ich – die wieder mal als etwas zu old-fashioned für die Welt enttarnt war – zurück. „Ich bin hier als Alltagsredakteurin verpflichtet, Shampoo fällt voll in mein Aufgabengebiet!“
Da hatte ich aber die nächste Fashion-Einladung noch nicht gelesen, auch die über- und die über übernächste noch nicht. Man bat mich zu 187 verschiedenen Style Nights und ins Hotel Adlon: Dort sollten russische und ukrainische Models über ein und denselben Laufsteg staksen – Wahnsinn! Ich meine: Frieden, Leute! Toll klang auch der Titel einer gestaltungstheoretischen Diskussionsrunde: Zeitgeist beyond Trend. Ha, ha, dacht ich kurz – geiler neuer Name für die olle Na-Na-Nachhaltigkeit.
„Die Erscheinung der Meerjungfrau ist es, die den Seemann fasziniert. Ihr Körper strahlt eine sinnliche Weiblichkeit aus. Dies wollte ich in eine Kollektion übersetzen“ – teilte mir eine mir bis dato gänzlich unbekannte Schneiderin mit. Aber hey, sie konnte nicht mit Starfriseur Udo W. konkurrieren, der mich in seine Beautysuite 2014 locken wollte, mit einer „Blütenwand, bestehend aus Tausenden von Rosen, designend (sic!) durch den Künstler Frank Platter, die (sic!) das weltbekannte Europa-Rosarium Sangershausen anlässlich des 70. Geburtstags ...“ – Sangershausen! Da wollte ich am Ende dieser Kolumne ja wieder hin! Da bin ich nun. Und weiß noch immer nicht, was ich anziehen soll. Immer die Ihre,
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.