Ein junger Mann, der beruflich oft an langen Konferenzen teilnehmen muss, erzählte mir neulich, dass er jetzt einen Stenografiekurs besucht. Ich staunte. Das Kurzschriftsystem hielt ich für ein historisches Phänomen, ich verortete es in den Bürowelten des vergangenen Jahrhunderts. „Steno ist praktisch, um sich unkompliziert Stichworte zu machen. Meine Sauklaue ist sonst unlesbar“, erklärte er.
Ja, die gute alte Sauklaue: Auch ich habe eine. Was ich handschriftlich festhalte – und sei es nur eine Adresse, die ich unterwegs auf ein Busticket kritzele, weil das oft doch schneller geht, als sie in ein Gerät einzuspeisen –, ist für mich später meist nur bruchstückhaft zu dechiffrieren. „Krmsh Schloss chakbe“: Mir fehlt die Übung im Schönschreiben. Zum 18. Geburtstag, das war 1988, bekam ich eine elektronische Schreibmaschine. Seither werde ich im Tippen immer besser; im Krakeln leider auch.
Als das finnische Bildungsministerium nun erklärte, dass finnische Grundschüler ab 2016 keine Schreibschrift mehr lernen müssen, regten sich allerlei Experten auf, vor allem in Deutschland. Das Schreiben per Hand stelle eine wichtige Kulturtechnik dar! Das Verbinden der Buchstaben sei sogar entscheidend für die „Entwicklung kognitiver und koordinativer Fähigkeiten“, hieß es etwa vom Schreibmotorik Institut in Heroldsberg, Bayern.
Tatsächlich fallen Handschriften ja höchst individuell aus und wirken damit persönlicher. Liebesbriefe aus dem Laserdrucker? Für die Generation 35 plus ist das stillos. Goethe sammelte Handschriften, und die Graphologie erfreute sich als „Charakterlehre“ in den jüngsten drei Jahrhunderten großer Popularität. Allerdings sind ihre Erkenntnisse ebenso ungesichert wie die der Ohrläppchenanalyse („Je dicker das Läppchen, desto größer die Libido“).
Die Finnen, die vieles richtig machen müssen, erzielen sie doch beim PISA-Bildungsvergleich stets Topergebnisse, wollen sich nun auf Druckbuchstaben – „vereinfachte Ausgangsschrift“ – konzentrieren. Und die Computerkompetenz der Kinder fördern, statt sie mit Noten fürs „Schriftbild“ zu quälen. Ich musste an die 17-jährige Naina K. denken, die kürzlich aufmuckte: „Ich hab keine Ahnung von Steuern, aber ich kann Gedichtanalysen schreiben!“ Und daran, dass Naina K., wenn sie sich für einen Job bewirbt, ihren Lebenslauf tabellarisch, als E-Mail-Anhang wird einreichen müssen. Und ich dachte: Wir Alten sollten nicht immer aufheulen, wenn die Welt sich mal wieder ein Millimeterchen verändert. Oder hätte jemand das hier jetzt lieber in Frakturschrift gelesen?
Kommentare 4
"Das Ende des Gekrakels" wird sich in Deutschland wohl nicht durchsetzen - Eher wird Blumio zum neuen Regierungssprecher - äh: Regierungsrapper - von Kanzlerin Merkel berufen!
Hm … Jetzt hätte man gern aber mal eine Information: darüber, ob die Finnen das handschriftliche Schreiben als solches gecancelt haben und nur noch auf digital machen wollen, oder lediglich die Schreibschrift mit verbundenen Buchstaben (bei uns also die Ausgangs- bzw. Schulschrift)?
Ist der Sack Reis mal wieder umgekippt, ja?
Ihnen auch allen einen schönen Tag! Knapp angemerkt - als Fragen formuliert:
1.) Sagen wir, über die vergangenen 15 Jahre gerechnet: Wie oft benutzt jede(r) von Ihnen ihre/seine Hand-Schreib-Schrift? Im Alltag, im Beruf, bei anderen Gelegenheiten? Wieviel Prozent all dessen, was Sie schriftlich verfassen, verfassen Sie also in Schreibschrift? (Es gelten nicht: Per Hand, aber der Leserlichkeit wegen in Druckbuchstaben ausgefüllte Ämterformulare und Ähnliches.)
2. Können Sie sich vorstellen dass es damals, als die Frakturschrift abgeschafft wurde, ähnliche Bedenken gab? (Sicher auch ebenso, nun ja, knorzige Kommentare.)
3.) Wieso haben Sie keinen LersInnenbrief per Hand geschrieben? (Beim Freitag gehen regelmäßig solche Briefe ein?) Wieso tippen Sie Ihre Anmerkung mit einer Tastatur?
Immer die Ihre: KK