Das Ende des Gekrakels

Bildung Finnland tippt auf die Zukunft: Statt die gute alte Schreibschrift zu lernen, sollen Schüler dort mehr Computerkompetenz erhalten. Klingt wüst, ist aber eine gute Idee
Ausgabe 04/2015
8. Mai 1963: Vorführung der neuen tragbaren Stenografie-Maschine in Hanover
8. Mai 1963: Vorführung der neuen tragbaren Stenografie-Maschine in Hanover

Foto: Keystone/Getty Images

Ein junger Mann, der beruflich oft an langen Konferenzen teilnehmen muss, erzählte mir neulich, dass er jetzt einen Stenografiekurs besucht. Ich staunte. Das Kurzschriftsystem hielt ich für ein historisches Phänomen, ich verortete es in den Bürowelten des vergangenen Jahrhunderts. „Steno ist praktisch, um sich unkompliziert Stichworte zu machen. Meine Sauklaue ist sonst unlesbar“, erklärte er.

Ja, die gute alte Sauklaue: Auch ich habe eine. Was ich handschriftlich festhalte – und sei es nur eine Adresse, die ich unterwegs auf ein Busticket kritzele, weil das oft doch schneller geht, als sie in ein Gerät einzuspeisen –, ist für mich später meist nur bruchstückhaft zu dechiffrieren. „Krmsh Schloss chakbe“: Mir fehlt die Übung im Schönschreiben. Zum 18. Geburtstag, das war 1988, bekam ich eine elektronische Schreibmaschine. Seither werde ich im Tippen immer besser; im Krakeln leider auch.

Als das finnische Bildungsministerium nun erklärte, dass finnische Grundschüler ab 2016 keine Schreibschrift mehr lernen müssen, regten sich allerlei Experten auf, vor allem in Deutschland. Das Schreiben per Hand stelle eine wichtige Kulturtechnik dar! Das Verbinden der Buchstaben sei sogar entscheidend für die „Entwicklung kognitiver und koordinativer Fähigkeiten“, hieß es etwa vom Schreibmotorik Institut in Heroldsberg, Bayern.

Tatsächlich fallen Handschriften ja höchst individuell aus und wirken damit persönlicher. Liebesbriefe aus dem Laserdrucker? Für die Generation 35 plus ist das stillos. Goethe sammelte Handschriften, und die Graphologie erfreute sich als „Charakterlehre“ in den jüngsten drei Jahrhunderten großer Popularität. Allerdings sind ihre Erkenntnisse ebenso ungesichert wie die der Ohrläppchenanalyse („Je dicker das Läppchen, desto größer die Libido“).

Die Finnen, die vieles richtig machen müssen, erzielen sie doch beim PISA-Bildungsvergleich stets Topergebnisse, wollen sich nun auf Druckbuchstaben – „vereinfachte Ausgangsschrift“ – konzentrieren. Und die Computerkompetenz der Kinder fördern, statt sie mit Noten fürs „Schriftbild“ zu quälen. Ich musste an die 17-jährige Naina K. denken, die kürzlich aufmuckte: „Ich hab keine Ahnung von Steuern, aber ich kann Gedichtanalysen schreiben!“ Und daran, dass Naina K., wenn sie sich für einen Job bewirbt, ihren Lebenslauf tabellarisch, als E-Mail-Anhang wird einreichen müssen. Und ich dachte: Wir Alten sollten nicht immer aufheulen, wenn die Welt sich mal wieder ein Millimeterchen verändert. Oder hätte jemand das hier jetzt lieber in Frakturschrift gelesen?

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

Katja Kullmann

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden