Der Ananas-Knoten

Die Konsumentin 37 Prozent in diesem Land sind heute Einpersonenhaushalte, doch wo man hinguckt: Essbares im Kelly-Family-Format. Ein Plädoyer für halbe Portionen
Ausgabe 32/2014
Der Ananas-Knoten

Illustration: der Freitag

Aaarghh, es nervt. Unser Thema heute: die Vorrats- und Versorgungsprobleme, die das Leben in einem Einpersonenhaushalt mit sich bringt. Ich nenne es den „Ananas-Knoten“. Etwa neulich bei Kullmanns in der Küche: Da stand eine Obstschale, mit einer Orange, zwei Birnen, zwei Nektarinen. Als Hauptakteurin, als Königin der Schale thronte da eine Ananas. Ihre Blätter sahen auch einen Tag nach dem Einkaufen noch frisch aus. Ja, 24 Stunden nach ihrer Besorgung strahlte die Frucht, äußerlich, noch all die Wertigkeiten aus, mit denen der Weltlobbyistenverband der Ananas-Industrie zu werben pflegt: saftig, süßsauer, mit voller Fettkillerenzym-Garantie.

Überhaupt ist das Ananas-Design toll. Wer immer das entworfen hat: Die rautenförmig strukturierte, futuristsch anmutende Schale, die Seventies-Farbgebung, das ist doch einfach ... zeitlos schön. Ich esse Ananasse – ja, der Duden erlaubt diesen lustigen Plural – am liebsten pur. Wenn ich mir eine zulege, tue ich das also nicht nur zu Dekorationszwecken, sondern in der Absicht, sie früher oder später auch zu verzehren.

Was uns zu unserem Problem der Woche führt: Das „Früher“ ist immer zu spät! Gerade im Sommer sind andere meist schneller als ich. Sie sind klein, und sie sind viele. Und man hat ja immer keine Ahnung, wo sie plötzlich herkommen, aber Fakt ist: Rührt man im Monat August eine Ananas an, und liegt nämliche Ananas schon länger als zehn Minuten da – man soll sie bekanntlich nicht im Kühlschrank lagern, weil sie dort ihren Geschmack verliert –, stiebt einem eine Millionenpopulation von Fruchtfliegen entgegen. Sie legen ihre Eier in die Frucht, und selbige ist nicht mehr zu genießen. Wieder mal ist also ein liebevoll gekauftes Lebensmittel verdorben. Wieder sind 99 Cent bis 3,29 Euro in den Orkus investiert, wieder ein Anlass, sich zu schämen.

Und die Ananas ist dabei nur die Spitze des, äh, Käse-Igels. Spitzpaprika! Wie ich diese frech geformten Gewächse schätze. Aber nicht einmal die freien Gemüsestände verkaufen sie noch einzeln. Immer muss man einen 20er-Pack nehmen, der für Familien ab 7,5 Mitgliedern gedacht sein muss. Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauchzehen: Sind oft nur noch in Kilo-Netzen zu haben.

Spinne ich – oder ist es tatsächlich so, dass im Warensegment Lebensmittel der Verkauf im Einzelstückformat umso schneller zurückgeht, je voller die Zeitungen sind mit Leitartikeln zum Thema „Verpackungsmüll und Verschwendung müssen aufhören“? Dabei wird das Statistische Bundesamt nicht müde, uns immer wieder mitzuteilen: Mehr als jeder dritte Haushalt (37 Prozent) in diesem Land ist heute ein Einpersonenbetrieb. Verkauft wird vieles Essbare aber im Kelly-Family-Format.

„Zu gut für die Tonne!“ heißt eine Initiative des Bundesministeriums für Ernährung. Bei jedem allein wohnenden Menschen komme wöchentlich bis zu ein Kilo Lebensmittelmüll zusammen, rund die Hälfte davon falle ins Ressort „Obst und Gemüse“. Aufs Jahr gerechnet würden so Waren im Wert von je 235 Euro weggeworfen. Der erste Verhaltenstipp des Ministeriums lautet: „Wer alleine lebt, sollte sich beim Einkaufen immer fragen: Schaffe ich es wirklich, die XXL-Packung aufzubrauchen?“ Haha, sage ich da. Über nichts anderes denke ich ja dauernd nach!

Nun muss ich mich entschuldigen. Ich muss meine neue Ananas essen, bevor es jemand anderer tut. Dann muss ich mich auf die Spitzpaprikawochen vorbereiten und die nächsten Kartoffeltage planen. Und, bitte: Machen Sie sich nicht die Mühe, einen Leserbrief aufzusetzen, der erklärt, dass die Ananas überhaupt nichts mit dem oben geschilderten total brutalen Verschwendungsproblem zu tun hat! Und dass es außerdem Baby-Ananasse gibt! Ehrlich, das weiß ich schon.

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

Katja Kullmann

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