Der Freitag: Frau Hager, nie wurde so viel über die Gleichstellung diskutiert wie heute. Ihre Diagnose lautet: Die Gegenwart hat Schneewittchenfieber. Was meinen Sie damit?
Angelika Hager: Der Diskurs dreht sich im Kreis. Wir verhandeln heute die gleichen Themen wie vor zehn Jahren: Väterzeit, Lohnschere, Quote oder genderkorrekte Sprache. Faktisch herrscht Stillstand. Da entwickeln junge Frauen, schon ermüdet, jene Krankheit, die ich Schneewittchenfieber nenne: Sie verkriechen sich in Idyllen und kochen Obst ein. Statt den sieben Zwergen, die im Bergwerk schuften, ein märchenhaftes Heim zu schaffen, sorgen sie bei ihrem Mann für diese Liebling-wie-war-dein-Tag?-Gemütlichkeit. Viele jüngere Frauen sind Töchter emanzipierter Mütter. Aber die sind in der Doppelbelastungsmühle ihrer Generation oft graugesichtig geworden, sie standen unter Dauerstrom. Das hatte wohl eine abschreckende Wirkung auf die Jüngeren.
Man hört wieder Sätze wie „Ich habe es nicht nötig zu arbeiten, mein Mann verdient genug“. Die neue Häuslichkeit ist offenbar ein Distinktionsmerkmal der oberen Schichten.
Das glaube ich nicht. Auch in einkommens- und bildungsschwachen Milieus sagen sich Frauen: „Bevor ich in einem mies bezahlten Job herumsitze, bekomme ich lieber ein paar Kinder und nehme das Betreuungsgeld.“ Aus dem Marketing kommt ja der Begriff Familienmanagerin. Unterprivilegierte Frauen fliegen nach einer Trennung am schnellsten aus der sozialen Spur. Aber auch etablierte Macchiato-Mütter sind finanziell abhängig von ihren Gefährten. Sie werden traurig aus ihren schicken Blusen schauen, wenn die Hipster-Vatis die hormonelle Krise kriegen und mit der 25-jährigen Yogalehrerin durchbrennen. Dann müssen die Mamis sich mit Mitte 40 in einen brutalen Arbeitsmarkt reinboxen.
Was müsste man tun, um den Backlash aufzuhalten? Die Quote ist selbst im Feminismus umstritten.
Auch für mich hat eine gesetzliche Quotenregelung etwas von einem Artenschutzprogramm. Aber wir werden nicht drum herumkommen. Natürlich bringt das die oft zitierte Aldi-Kassiererin zunächst keinen Zentimeter weiter. Die braucht eine flexible Kinderbetreuung, die nicht ein Drittel ihres Gehalts auffrisst und Alternativen während der elendslangen Schulferien anbietet. Ein Partner, der nicht von Kastrationsängsten geplagt wird, wenn er Fischstäbchen in die Pfanne wirft, würde auch helfen.
Ihre Tochter ist Anfang 20. Findet sie denn eine bessere Welt vor als die Generation 40 plus?
Die meisten jüngeren Männer sind wenigstens mit einem etwas anderen Frauenbild groß geworden. Sie sind nicht mehr die verhätschelten Muttersöhnchen, mit denen wir Ältere uns herumschlagen mussten. Kein Vergnügen ist aber der Arbeitsmarkt. In den 90ern konnten wir uns da noch austoben, gerade auch die Jungen. Da kam man noch schnell an richtiges Geld. Heute kenne ich viele im Alter meiner Tochter, die trotz Einserzeugnissen froh sind, wenn sie einen 1.200-Euro-Job kriegen. Das frustriert. Und Frustrationen sind die beste Voraussetzung für Schneewittchenfieber.
Das Gespräch führte Katja Kullmann
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