Angenommen, man wäre ein optimistischer Mensch, einer, der das Jammern über den Verfall der Werte, des Stils, der Sitten gern anderen überließe: Man hätte es schwer. Die guten Nachrichten sind so verdammt selten. Gerade auch im Feld Geldausgeben. Der jüngste Shoppingschocker, er füllte ganze Spalten in den Kulturressorts: Nach zwei Jahren des Betriebs hat die Buchhandlung Ocelot in Berlin-Mitte Insolvenz angemeldet.
„Ja und?“, mag die Leserin in Braunschweig da brummen. Ein empörter Literaturfreund aus Sachsen mag einwerfen: „Pöh! Und wer schreibt über das ,Leselädchen‘ in Zwickau-Hüttelsgrün?“ Während wieder ein anderer vielleicht ruft: „Typisch! Für die ,Bücherlust‘ in Hanau, die der liebe Herr Hartmann 37 Jahre lang betrieb, interessiert sich wieder mal kein Schwein!“
Ja, der Buchhandel ist in der Krise, überall. Wie praktisch alles andere auch. Das Internet ist schuld – und wir. „Wir“, das sind die Leute, die ihren Krempel lieber online bestellen, statt einen real existierenden Einzelhändler aufzusuchen, mit allem, also mit: Ladentür öffnen, dingeling, und der Wahnsinnsbegrüßungsfrage: „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“ Billig, schnell, schmerzfrei soll’s gehen, humanoider Kontakt ist zu vermeiden. Macht riesig Spaß, die Preisvergleichsportalparty, das Schnäppchensparvergnügen, die Offertenorgasmen, die attraktive Algorithmen einem so schenken. Abgesehen davon: Kultur, äh, culture bitte als Gratisdownload, sharing is caring, gell?
„Wir“, das sind auch die Leute, die die Verödung der Innenstädte begreinen. Überall derselbe Ramsch zu Einheitspreisen in standardisiert ausgeleuchteten Globalisierungsräumen. Während Einzelhändlern ohne Franchisevertrag oft nur noch sechsmonatige Mietgarantien gegönnt werden – es könnte ja jeden Moment ein Kettenfilialist da reinwollen und das Doppelte bezahlen. Da plappern TTIP-Freunde hüben wie drüben von freien Märkten und scheinen zu übersehen, dass der Konsum längst (wieder) eine sozialistische Qualität erreicht hat. Für alle dasselbe! Und ebenjenes, dasselbe, wird von kampfkapitalistischen Kartellen zu erpresserischen Bedingungen in prekären Ländern hergestellt. Woah – ich könnte gerade einen Geldautomaten zu Klump treten oder wenigstens SAU! draufkritzeln, so arg regt mich das wieder mal auf!
Zurück zum Kulturgut: Die Handlung Ocelot in Berlin-Mitte gab (und gibt) sich alle Mühe, das Produkt Papierbuch attraktiv zu präsentieren. „Not just another bookstore“, lautet der Werbespruch des Ladens, der auch online mit einer ansprechenden Webseite vertreten ist. 70 Lesungen (Events! Erlebnisse!) fanden dort schon statt, in einer Echtholzeinrichtung, die allerdings leicht überhebliche 195.000 Euro kostete.
Die darbende Buchbranche – nur noch ein paar überbezahlte Fuzzis geben ja Geld für Bücher aus, und das auch nur, um sie fotogen auf ihren voll einheitlichen Lehrerzimmermöbeln zu postieren – setzte große Hoffnungen auf Ocelot und dessen „Cross-Channel-Konzept“. Man sei „in Schieflage“ geraten, „weil im Businessplan manche Kosten nicht hoch genug kalkuliert waren“, sagt der Inhaber, Frithjof Klepp, ein sympathisch und derzeit etwas kleinlaut wirkender Mensch. Die Kosten: Das sind wohl nicht nur die Möbel. Das sind wohl auch Sie und Sie und ich. Ansonsten wäre eventuell zu sagen: „Soll der Mann doch bloggen, wenn ihm Literatur so viel Spaß macht!“ Oder nicht?
Zum Schluss noch ein Kracher: Bis zum 16. November läuft bundesweit die „Woche unabhängiger Buchhandlungen“. Am 18. wird bei einer Gala in Berlin der „Indie“ verliehen, für besondere Verdienste gegen die „Weltuntergangsstimmung“ im inhabergeführten stationären Buchhandel.
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