Guten Tag, hier spricht die Frau mit den prallvollen Einkaufstüten. Diejenige, die U-Bahnen, Rolltreppen und Fahrstühle verstopft und sich auf den Bürgersteigen oft so breit macht, dass Radfahrer fauchen: „Boah, kannste ma’ Platz machen mit deinen Tüten, Alte!?!“ Für gewöhnlich zetere ich zurück: „Also, hören Sie mal, Sie könnten ruhig etwas Respekt zeigen für meine Staatsbürgerinnenleistung. Denken Sie, mir macht das Spaß? Ich kurbele die Binnenkonjunktur an, rette Arbeitsplätze und sorge für die Belebung der Innenstädte. Ohne mich kein urbanes Lebensgefühl – ja? Und wem nützen Sie? Außerdem: Fahren Sie gefälligst auf den für Sie vorgesehenen Asphaltspuren! Die ich mit meinen Umsatzsteuern finanziere, höchstwahrscheinlich! Und jetzt schleichen Sie sich, ich muss hier schwer arbeiten.“
Damit nicht gleich ein ganz schiefer Eindruck entsteht: Ich bin ein friedlicher Mensch, eine von den Guten. Die obige Szene ist stark übertrieben. Für den Werbeeffekt. Knalliger Einstieg – um gleich viele Leser (vulgo: Kunden) für diese neue Kolumne zu gewinnen.
Ja, hier an dieser Stelle wird es von nun an alle 14 Tage ums Geldausgeben gehen. Bevor Empörung ausbricht, gebe ich Ihnen, werte Leserinnen und Leser, lieber gleich mal herzlich recht: Einkaufen ist das Allerletzte – jawohl. Igitt, eine vollkapitalistische Unsitte. Ein ganz ekelhaftes No-go-Thema. Ich meine: Shopping und Systemkritik – wie soll das denn zusammenpassen?
Und ob es passt
So reagierte auch die Freitag-Redaktion, als ich kürzlich in der Themenkonferenz rief: „Hey, Genossinnen und Genossen, das Reiz-Thema ,Shopping‘ ist ja sehr unterrepräsentiert, in diesem attraktiven Medienprodukt.“ Allgemeines Stirnrunzeln. „Hmmm“, merkte eine Kollegin an, so süffisant wie möglich. „Unsere Leser sind ja mehr so ... Anti-Konsum“, brummte ein Kollege. Die Chefredaktion schloss die Augen.
Womöglich lief ich da für zehn Sekunden hellrot an, Selbst-Blamage ist ja selten schön. Um die Situation zu retten, griff ich zu einem alten Cowboy-Trick – Zigarettenwerbung, 80er-Jahre-Sozialisation – und senkte meine Stimme: „Sorry. Verstehe. Wir hier beim Freitag, wir stehen auf der, äh, richtigen Seite – richtig?“ Kollektives Kopfnicken, alle fühlten sich erkannt. Und ich fuhr fort: „Genau darum geht es: Müllvermeidung und Geldbeutelschonung. Fair Trade und Anmut. Neue Bescheidenheit und ein hartnäckiger Rest von Distinktionsinteresse: Das sind doch die Pole, zwischen denen man ständig hin- und herpendelt. Einerseits fordert man uns zu sogenannter Nachhaltigkeit auf, andererseits will man, dass wir uns dumm und dämlich kaufen, damit der Motor brummt.“ Der Kollege, der für den Klimaschutz zuständig ist, machte große Augen und kritzelte etwas auf seinen Notizblock.
Mein Vortrag nahm an Fahrt auf: „Da, wo früher mal hochpraktische Einrichtungen wie Schraubenläden und Currywurstbuden waren, drängen sie uns heute vegane Fake-Würste zum dreifachen Preis auf. Und als Allerblödestes: Design-Kitsch aus Filz!“ Die Praktikantin, eine Vertreterin der durchprekarisierten Junge-Leute-Generation, rief: „Aber Filz ist doch schön? Do-it-yourself und so …“ Und ich so: „Nein! Filz ist ein gemeiner Witz! Wir nennen es ,kritisches Verbrauchertum‘ oder sprechen von ,alternativem Konsum‘ – aber letztlich ist es doch so: Selbst wenn man sich am Buy-Nothing-Day beteiligt, bezieht man sich wieder: auf den Konsum. Einkaufen ist Politik im Alltag. Ich nenne es: Shopping Dialektik – und stelle hiermit den Antrag auf eine rest-marxistische Konsum-Kolumne mit populärkulturellen Anflügen .“ Sie haben mir diesen Vorschlag dann tatsächlich abgekauft. So werde ich weiter konsumieren müssen. Ein jeder hat sein Tütchen zu tragen.
Kommentare 7
Ironie ist nicht so Ihre Stärke?
Katja Kullmann schreibt oft in dieser Manier, sogar über sich selbst.
Aber damit kann ich nun nichts anfangen, gar nicht.
Oh, ich schon...;-)...
Ich habe weit eher Widerstände gegen solche Artikel. Nicht nur wegen des Inhalts, auch wegen der Form.
Liebe Frau Kullmann,
lese ich richtig? Der Kollege vom Klimaschutz kritzelte tatsächlich „etwas auf seinen Notizblock“? Etwa einem so richtig aus Papier? Das soll fortschrittlich-nachhaltig sein?
An Ihrer Stelle würde ich sofort mit dem Zentraleinkauf des Verlags reden und anschließendem dem Kollegen ins Gewissen: Seltene Erden sterben nicht wie Bäume, sie nachzufragen fördert Fortschritt und irgendwie nachhaltig den Maoismus. Also ab zum nächsten *diesistkeinproductplacement*-Store und flugs ein Pad gekauft. Sie wissen schon, nicht den Hygieneartikel. Aber auf Kosten des Verlegers, wenn Sie sich schon auf unsere amüsieren.
Das wird noch heiter werden.
Ihr e²m
Aber erst wenn es "gender" wird, wird diese Diskussion interessant, oder um es frei mit Volker Pispers zu sagen: "Wann geht ein Mann los, um sich eine neue Hose zu kaufen?, wenn die Frau sagt: Die alte Büx ziehst Du nicht mehr an!"
Ereifert euch bitte nicht so sehr an einem satirischen Text, ob einem der Humor gefällt oder nicht, ist doch sehr vom einzelnen abhängig. Ich habe die paar Minuten jedenfalls nicht als verschwendete Zeit empfunden, aber um sich zu ereifern gibt es wirklich andere, wichtigere Probleme.
"So werde ich weiter konsumieren müssen. Ein jeder hat sein Tütchen zu tragen."
Man kann es auch rauchen, denn der Konsum ist in Deutschland nicht strafbar :)
Also, ich unterscheide ja nicht zwischen "Einkaufen" und "Shoppen", letzteren Begriff, der für mich eher an eine Freizeitbeschäftigung erinnert, also sozusagen: Geld ausgeben, des Geld ausgebens wegen bedeutet, verwende ich einfach im Deutschen nicht, und wenn ich Einkaufen gehe, achte ich darauf, dass ich höchstens einen "Fertigartikel" im Einkaufskorb habe.
Im übrigen stimme ich zu, Einkaufen ist lästig und die Düddelmusik, die heutzutage scheinbar fast überall vom Endlosband zu laufen scheint, macht das ganze nicht angenehmer, bleibt nur die Hoffnung auf einen netten Flirt am Obststand........
"Der Fertigmüll schmeckt mir nicht, so dass das schon mal eh wegfällt."
Fertiggerichte oder womöglich sogar TK-Pizza ist für mich auch ein No-Go, einzig Gebäck darf gelegentlich durch die Kontrolle :o)
LOL, werde ich tun, am liebsten natürlich frisch aus der Bäckerei, was in d-schland ja gewöhnlich kein problem ist, bzw. war, aber hier in portugal sind bäckereien eher dünn gesäht, und jedes mal selbst backen........