Katja Riemanns Doitschlandabend

Bühne Friedensreich. Ein Doitschlandabend" heißt der Prosa- und Liederabend, den Schauspielerin Katja Riemann am Montag im Berlin-Charlottenburger Jazzclub ...

Friedensreich. Ein Doitschlandabend" heißt der Prosa- und Liederabend, den Schauspielerin Katja Riemann am Montag im Berlin-Charlottenburger Jazzclub A-Trane aufgeführt hat. "Doitschland" ist dabei, im Böse-Buben-Modus, mit "oi" geschrieben wie sonst nur bei Hooligans, Punk- und Skinhead-Bands. Begleitet vom Gitarristen Arne Jansen las Riemann Texte der in Weimar geborenen Schriftstellerin Sibylle Berg und sang Lieder der Band Rammstein, die als Vertreter des Musik-Genres "Neue deutsche Härte" gelten. Im Programmzettel heißt es: "Deutschland, gern auch mit oi, lässt sich besser singen im Stadion. Doitschland, ist das schwarzrotgoldgestreift oder grau und wenn ja, warum und wie viele. Innen oder außen."

Zunächst gebührt Riemann einiges Lob für diesen Abend. Als Rezitatorin und Sängerin hat sie ihre Sache sehr gut gemacht, hat den monströsen Rammstein-Duktus erfrischend interpretiert, mal rauchig, mal mädchenhaft, mal hysterisch. Darüber hinaus hat sie eine höchst interessante Frage formuliert: Was ist dieses "Doitschland" eigentlich, über das sich alle streiten und das in finstere Unübersichtlichkeit zu zerbröckeln scheint?

Da ist etwa die zunehmende Unschärfe des Schwarzrotgold, das spätestens mit der Fußball-WM 2006 einen neuen Popularitätsschub erfahren hat. Und so besteht die Leistung des "Doitschlandabends" darin, eine erschütternde Begriffs- und Hilflosigkeit aufzuzeigen. Das Land, das Riemann via Berg und Rammstein präsentiert, ist ein niedliches, harmloses Nichts, bevölkert von lauter kleinen Geistern, die sich von schal gewordenen Ressentiments ernähren. Dieses "Doitschland" redet komplett an sich vorbei und beißt sich dabei in den Schwanz.

Ausgerechnet mit einem Österreicher beginnt das Programm. Es handelt sich jedoch nicht um eine Hitler-Rede, sondern um das Verschimmelungsmanifest (1958) des Wiener Künstlers Friedensreich Hundertwasser, aus dem Riemann zum Auftakt zitiert. Es folgen Auszüge aus Bergs Texten, Büchern und Magazinbeiträgen, und ein Auflauf allzu bekannter Hassfiguren nimmt seinen Gang. Da sind der eitle Dichter und der größenwahnsinnige Theaterregisseur: Schauspieler müssen nackt über die Bühne rennen und sich rektal penetrieren lassen - und die überforderte Theaterbesucherin "Erika" setzt sich schließlich doch lieber wieder vor den Fernseher. Das Jingle der Quiz-Show Wer wird Millionär schallt kurz auf, ein Raunen des wohligen Wiedererkennens geht durch den Zuschauerraum.

Auch der böse Journalist kommt vor, ein verkommener Misanthrop, der für Geld lügt und mit dem Establishment unter einer Decke steckt. Dann liest Riemann aus Bergs Textsammlung Gold (2000) eine authentische Absage des Suhrkamp-Verlags vor: Man wolle Bergs Anthologie-Beitrag zum Thema "Faschismus" nicht drucken, er entspreche nicht den Anforderungen des Hauses, biete ihr aber ein Ausfallhonorar in Höhe von 500 Mark an. Ohne den abgelehnten Berg-Text zu kennen, schütteln zwei Dutzend Zuhörer in Charlottenburg ihre Köpfe und sind mit der Empörung der Autorin und Schauspielerin instinktiv einverstanden. Die Guten in diesem "Doitschland"-Panorama sind indes Klempner und Schrebergärtner.

Daraus ergibt sich eine verführerisch schlichte Küchenpsychologie, und eine ungeahnte Intellektuellenfeindlichkeit schimmert aus den Berg-Texten. Entgleistes Theater, zynische Medien-Mafia, alle stecken sie unter eine Decke im degenerierten Kulturbetrieb. Dagegen friemelt sich der schlichte Klempner reinen Herzens im Steckrübenbeet die Finger wund, arglos tropft das Blut auf seinen eigenen Boden. Nie klang Sibylle Berg so moralinsauer wie an jenem Potpourri-Abend.

Abschließend setzt Riemann zu einem selbst formulierten Appell an: Rammstein seien keine Nazis! Anselm Kiefer sei auch keiner! Und Heiner Müller, verdammt noch mal, kein Stasi-Mann! Das Publikum applaudiert zünftig, und in jenem Moment fragt man sich unweigerlich, in welcher Galaxie dieser Charlottenburger Saal gerade segelt.

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

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