Manche Kinder heulen los, wenn Clowns vor ihnen herumturnen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Bei mir waren es so genannte Männerballetts. Sah ich im Alter zwischen drei und dreizehn im Fernsehen oder beim Karneval bärtige Menschen in Tutus herumtippeln, wurde mir schlecht. Wenn das Publikum auch noch lachte, kamen mir vor Wut die Tränen. Charleys Tante im Sonntagsprogramm, Tootsie im Kino: Da waren immer diese übertrieben prallen Brüste, dieses alberne Herumstaksen auf hohen Hacken, ein grotesk grelles Make-up und dümmliches Wimperngeklimper. Das Wesen Frau vorgeführt als Witzfigur. Beide, der Clown und der Transvestit, zelebrieren ja eine überdrehte Falschheit. Beide geben Karikaturen von Menschen zum Besten – und jede Karikatur hat im Kern etwas Boshaftes an sich. Die Bestürzung, das kindliche Heulen ist also völlig gerechtfertigt.
Diane Torr ist eindeutig eine Frau. Und sie wirkt gar nicht boshaft. Aber gefährlich gescheit. Das liegt schon an ihren hellen, sehr schnellen Augen. 65 Jahre ist sie alt, 1,60 Meter klein, superagil und wunderbar eigenwillig gekleidet. Als ich ihr zum ersten Mal begegne, trägt sie einen geringelten Rock, ein T-Shirt mit Punk-Motiv und einen bunt gemusterten Blouson, den man anstarren muss. Torr bemerkt das Starren und sagt: „Issey Miyake“. So wie Frauen eben gern über Mode sprechen. Oder … Moment mal: Tun Frauen das wirklich gern? Ist das nicht gleich wieder: total falsch?
Manchmal heißt Diane Torr Larry Miller. Sie sieht dann auch aus wie ein Larry und spricht wie einer. Deshalb will ich sie kennenlernen. Als Performance-Künstlerin hat Torr sich auf die Finessen des Drag spezialisiert: auf die Kunst, sich mit entsprechender Kleidung, mit Gestik und Mimik in das andere Geschlecht zu verwandeln. Drag Queens nennt die queere Subkultur Männer, die als Frauen unterwegs sind. Drag Kings heißen Frauen, die wie Männer aufgemacht sind. Torr ist eine Meisterin in dieser Disziplin, sowohl als Darstellerin als auch als Lehrerin. Inzwischen ist sie so gefragt, dass sie rund um den Globus reist, heute Dhaka, morgen Helsinki. Oder, wie jetzt wieder einmal, Berlin.
„Man for a day“ heißt der Workshop, der Torr bekannt gemacht hat. In dem zweitägigen Programm zeigt sie Frauen, wie so genannte Männlichkeit funktioniert, mit Geh- und Sprechtraining, falschem Bart, korrekter Körperhaltung. 300 Euro kostet die Teilnahme, gesprochen wird Englisch. Mitzubringen ist ein männliches Outfit nach eigenem Geschmack, sei es ein Tankwartoverall oder ein Smoking. Außerdem eine möglichst lebensnahe Penisattrappe. Kein Dildo natürlich. Wie viele Männer laufen schon mit einer Dauererrektion herum? Auf ihrer Website dianetorr.com empfiehlt Torr ein Kondom oder eine Socke, ausgestopft mit Watte, das kostet so gut wie nichts und füllt eine Hose gut aus.
Penisattrappen sind Pflicht
Zehn Frauen sind zum Berliner Workshop erschienen. Er findet in einer Kreuzberger Schauspielschule statt, eine Wand im Saal ist komplett verspiegelt. Ich mache nur mit, weil ich Diane Torr so am besten bei der Arbeit beobachten kann – schwindele ich mich selbst an. Crossdressing, Gender Swapping, die Trans*- und die Cis*-Bewegung: Das sind ja alles Themen, denen ein Gegenwartsmensch kaum entkommt. Selbst bei Deutschland sucht den Superstar nicht: In den Vorrunden sang unlängst eine junge Frau mit, die sich einen Bart aufgeklebt hatte und sich „Ryan Stecken“ nannte (man muss es laut aussprechen, dann versteht man den Trick). Sie oder er stellte sich als „Boy-Tunte“ vor. Dieter Bohlen und die Werbepartner fanden es witzig, Ryan Stecken schaffte es in den Recall.
Zu Beginn sollen wir uns in einen Kreis setzen und uns kurz vorstellen, und ich bin überrascht: Ich hatte mit mehr Lesben gerechnet – so dämlich das klingt. Ich dachte, dass vor allem Frauen, die über die enge heterosexuelle Matrix hinaus lieben, sich für einen solchen Kurs interessieren. Tatsächlich sind sechs der Teilnehmerinnen aber mit Männern liiert. Zwei halten sich über ihr Liebesleben bedeckt, ich stammele: „Männer: ja. Also: nur! Zurzeit aber eher sporadisch …“. Nur eine liebt ausdrücklich Frauen. Sie ist die einzige, die von sich aus schon in Männerkleidung erschienen ist. Mit Hosenträgern, Stehkragenhemd und Schiebermütze sieht sie aus wie ein Zeitungsjunge aus den 30er Jahren. Eine sehr schöne Frau, Künstlerin.
Torr hat einst mit der feministischen Aktivistin Annie Sprinkle zusammengearbeitet, in New York, und sie erzählt uns, was den Impuls für das „Man-for-a-day“-Projekt gab: Es war die Amtsantrittsrede von George W. Bush im Jahr 2001. „So ein begabter Männlichkeitsdarsteller“, sagt Torr. „Ich sah diesen Typen, der lauter Floskeln absonderte. Und ich dachte: Wie zur Hölle kommt der mit dieser Nullnummer durch? Das ist nun also der mächtigste Mann der Welt?“ Wieder und wieder habe sie sich das Video angesehen. „Ich habe seine Performance genau studiert. Und die Regeln sind wirklich sehr, sehr einfach.“
Die Jüngste in der Runde ist 21, die Älteste 54. Warum sind diese Frauen hier? Um sich im Berufsleben besser durchzusetzen, sagen manche und geben Beispiele: Wie männliche Chefs sich vor Untergebenen aufbauen, gorillaartig. Andere sagen, dass sie sich in vollen U-Bahnen oder Clubs oft bedrängt fühlen und sich mehr Respekt verschaffen wollen. Auch pure Neugierde wird als Grund genannt. Wie ich unseren Kreis so betrachte, in der Spiegelwand, denke ich: „Hier ist kein einziger George W. Bush dabei, das wird doch nie was.“
Was dann passiert, ist verblüffend. Diane Torr gibt uns eine Kostprobe ihrer Kunst. Derselbe kleine Mensch wie eben steht vor uns, mit derselben roten Pagenkopffrisur, auch mit derselben Stimme – aber es handelt sich jetzt um eine ganz andere Person. „Hallo, mein Name ist Larry Miller, ich bin ein Fluxus-Künstler der ersten Stunde. Damals, mit Yoko Ono …“: Larry erzählt seine Geschichte so entspannt und selbstsicher, dass eigentlich kein Zweifel möglich ist: Dieser Larry ist echt. Er ist Diane Torrs Alter Ego – oder umgekehrt. Sie kann die Personen ein- und ausschalten, wie sie will.
Szenenapplaus. Torr sagt: „Wir wollen bitte keine Klischees reproduzieren!“ Männer bekämen, genau wie Frauen, einfach ein gewisses Repertoire von Verhaltensweisen anerzogen. „Frauen lernen zu lächeln, Männer lernen, sich Raum zu nehmen.“ Um diese doch recht schlichte Faustregel zu demonstrieren, zieht sie einen Stuhl zu sich und setzt sich. Erst als Frau. Sie schlägt ihre Beine übereinander, auf die Art, wie die meisten von uns im Kreis gerade dasitzen. „Sich klein machen, vorsorglich den Platz frei halten“, erklärt Torr das Muster, und ich schaue auf meine verschränkten Oberschenkel hinab und denke: „Wow. Ich sitze aber wirklich immer so.“
Lächle nicht, sei ein Mann!
Dann steht Torr auf und setzt sich wieder hin, diesmal als Mann – und auch das wirkt realistisch, unspektakulär. Wir sehen aber auch: Männliches Sitzen ist tatsächlich anders. Breitbeinig eben. Das bedeutet aber nicht gleich „prollig“ oder „machohaft“. Ohnehin stelle ich mir vor, dass das das Mannsein sich auch sehr fein anfühlen kann.
Die männliche Kleidung und abgebundene Brüste sollen helfen, in unsere je individuelle Breitbeinigkeit hineinzufinden. Jede Frau hat einen anderen Typus im Sinn. Da gibt es den jungen Hip-Hopper. Den Kunstkurator. Den miesepetrigen Verwaltunsgangestellten. Den wortkargen Programmierer. Den liebeskranken Studenten. Den Porschebrillen-Pöbel. Und es gibt Karl, Literaturagent und Gelegenheitsdealer, eine echt coole Sau. Allerdings auch ein schmales Hemd. So wie manche Frauen keine üppige Oberweite raushängen lassen können, ich kenne das, so hat Karl keine Muskelpakete zum Vorzeigen. Aber hey, mit seiner Smartness kann er sie alle haben! So schwebte er mir vor, als ich einen Tag zuvor in der Kinderabteilung bei C&A einen Konfirmandenanzug besorgte, Größe 164, und in einem Rotkreuzshop eine halbwegs bohemistische Krawatte.
Jetzt, in voller Montur, sehe ich aber einen ganz anderen Typen vor mir: ein fades Controllingmännchen, das im ICE-Bordbistro mit lauwarmem Pils um sich kleckert und über den Audi A 3 schwadroniert. Torr und eine Assistentin haben uns Haarstoppeln aufklebt, jeder Bart wurde individuell modelliert. „Du siehst gut aus, wie ein stylisher schwuler Mann“, sagt die Meisterin zu mir, und ich höre mich den absolut erschreckenden Satz rufen: „Ich will aber nicht schwul sein, sondern ein richtiger Mann!“ Nach dem ersten Tag habe ich Rückenschmerzen, die fast eine Woche anhalten werden. Vom Beherrschttun. Vom Raumnehmen. Vom Quadratischsein.
Wir lernen, wie Männer zu gehen: „Nicht so viel mit den Armen schlenkern!“ Wie Männer zu grüßen: „Nur kurzes Händeschütteln, nicht so lange festhalten!“ Wie Männer zu schauen: „Männer nutzen ihre Augen, um Informationen aufzunehmen, selten um damit zu kommunizieren.“ In einer Improvisationsszene ist Karl, mit dem Programmierer und dem Hip-Hopper in einem Fahrstuhl stecken geblieben. Karl hat leichte Panik – möchte es sich aber nicht anmerken lassen. Also hustet er einen extra herben Männerhusten, ruckelt öfters an seinem Penis herum (Linksträger) und klopft großmäulige Sprüche.
Am zweiten Tag werden wir zu Testläufen auf die Straße geschickt. In einem Kiosk kauft Karl ein Eis. Der Verkäufer lacht, es ist klar, was er gerade sieht: eine Frau mit angeklebtem Bart. „Dit is Berlin, wa?“ Später sprechen wir über unsere Erfahrungen. Manche Frauen scheinen überzeugt, draußen als Mann durchgegangen zu sein. Ich denke: 48 Stunden reichen dafür nicht. Aber das ist nicht schlimm. Zu Diane Torr sage ich, zum Abschied: „Danke, es war toll. Aber auf gar keinen Fall möchte ich ein Mann sein.“ Warum nicht, will sie wissen. „Weil ich mich als Mann an fast so viele Codes und Regeln halten – oder mich dagegen wehren – müsste wie ich es als Frau tun muss.“ Torr nickt. „Weil es ein superdummer Geschlechterzirkus ist, alles! Weil ich nun schon über 40 Jahre damit verbracht habe, mit dem Part ,Frau‘ klarzukommen, etwas daraus zu machen, mit dem ich einigermaßen leben kann. Jetzt fange ich doch mit der Schmierenkomödie ,Mann‘ nicht noch mal ganz von vorne an!“ Ich lache heiser und greife mir an den Penis. Aber da ist keiner mehr. Stimmt ja: Er steckt schon in meiner Handtasche.
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