Wussten Sie schon, was ich bis vorgestern noch nicht wusste? Dass jetzt nämlich „Kreation zur commodity“ wird, die man bald „an jedem Hotspot um die Ecke“ kriegt. Dass die große Zeit der red carpet events vorbei ist. Dass der impact index mit dem Awareness-Wert höchstens so viel zu tun hat wie das Cluetrain-Manifest mit dem upselling: so gut wie gar nichts. Oder, wie es ein sicher sehr kluger Mensch namens Jürgen Scharrer jetzt formulierte, in einem kämpferisch klingenden Debattenbeitrag für die Zeitung Horizont: „Stimmt die These, man müsse ,Content und Container‘ zusammendenken, und trifft darüber hinaus die Diagnose zu, dass Media und Kreation zunehmend aneinander vorbeireden, ist der Handlungsbedarf offensichtlich.“ Puh! – Gell?
Aneinander-Vorbeireden führt zu Handlungsbedarf: Das ist wohl wahr. „Wo ist denn der geile Stinkkäse, Schatz?“ – „Oh, ich dachte, du ...“ – „Aber ich habe doch das Auto betankt und die Blumenerde besorgt.“ – „Und auf dem Rückweg wolltest du den Käse mitbringen.“ – „Nein, ich habe mich beeilt, schnell unsere Airbnb-Buchung zu canceln.“ – „Wieso schnell canceln?“ – „Weil du doch den Hund, den ich an eine Straßenlaterne angebunden habe, gleich nach deinem Job abholen wolltest, und bevor die Umbuchungsfrist bei diesem Ferienportal abläuft …“ – „Wieso gecancelt, ich dachte, wir fahren schon zwei Tage früher …?“– „Aber du hast doch ein Seminar!“ – „Ja, aber im Juni! Nicht im Juli! Und der Hund ... wo ist jetzt der Hund?“ – „Irgendwo zwischen Mehringdamm und Halleschem Tor. Ist er angebunden. Seit gestern. Aber ganz fest, ich schwör’s!“
Die Zeitung Horizont ist jedenfalls eines von einem Dutzend Fachmagazinen aus der PR-Branche, ein Organ „für Marketing, Werbung und Medien“, wie es im Untertitel heißt. Als Konsumentinnenvertreterin sehe ich mich verpflichtet, regelmäßig in diese fremde Welt hineinzublättern – denn: Man muss den Gegner kennen. Erst recht in Zeiten wie diesen, in denen Algorithmen uns verfolgen und in denen die Schleichwerbung dem Journalismus eng auf die Pelle rückt. (Ich sage nur: der schreckliche „SZ-Leaks“-Verdacht! Oder: Die für den 5. Mai wieder angesetzte Verleihung des „Co-Brand Award“ für herausragende Leistungen bei der Zusammenarbeit von Marketing und Medienvertrieb! 2014 ging der Preis an das Schöneleutemagazin Gala, für eine total tolle Kooperation mit der Modefirma comma.)
Die Idee war – auch in Ihrem Namen, werte Verbraucherinnen und Verbraucher –, zu schauen, welche Strategien die Damen und Herren Public Relations gerade austüfteln; wie die „Erzeugung von Bedürfnissen, Erwartungen und Nichtbefriedigungen“ (Pierre Bourdieu) aktuell so funktioniert; mit welchen Taschenspielertricks man uns dieser Tage also zu dem treiben will, was in der Marktwirtschaft unsere wichtigste, unsere kleinbürgerliche Königs-, ach was, unsere einzige Aufgabe ist: kaufen, kaufen, kaufen!
Und nun … komme ich mit leeren Händen zurück. Denn der Vermarktungsdschungel ist schier undurchdringlich. Eine Parallelwelt – in der so gesprochen wird, dass es wie Satire klingt. Wenn es nur nicht so gefährlich wäre! „Der Kern von Werbung ist nicht mehr Werbung“, schreibt etwa der oben schon zitierte Herr Scharrer, „sondern Dialoge entlang der customer journey, die es immer exakter zu vermessen gilt?“ Ja – er setzt tatsächlich ein Fragezeichen hinter diesen Satz. Das mit der customer journey ist eine rein rhetorische Frage! Boah – das ist tricky.
Überhaupt seien zu viele „überhitzte Schwirrwörter“ in Umlauf, las ich bei Horizont. Und fand das doof. Gerade erst hatte ich mich ja an die Vokabel buzzword gewöhnt – nun heißt es also längst schon wieder „Schwirrwörter“. Und kein Wort über den überraschenden Tod von Mister Spock, nirgends! Scheißwerbung.
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