Staubsaugen mit Wladimir Iljitsch

Die Konsumentin Schon Lenin kannte das Vertrauensdilemma. Dabei hat er wahrscheinlich nie einen Sauger in der Hand gehabt. Die sollen laut EU bald nur noch mit halber Leistung laufen
Ausgabe 36/2014

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – soll Lenin gern gesagt haben. Das „soll“ ist dabei das entscheidende Wörtchen. Es gibt nämlich keinen Beleg für dieses Zitat. Das behauptet jedenfalls Wikipedia. Stattdessen habe Lenin oft das russische Sprichwort „Dowerjai, no prowerjai“ verwendet, übersetzt: „Vertraue, aber prüfe nach.“ Nun sagen beide Sätze praktisch dasselbe, man müsste eigentlich nicht darüber streiten, wie genau der alte Russe es formuliert hat. Außerdem: Warum sollte man Wikipedia eher glauben als jahrzehntelanger mündlicher Überlieferung?

Mit diesem Vertrauensdilemma führen Lenin und Wikipedia uns direkt zu unserem heutigen Thema: zum Staubsaugen – und zur heißen Luft, die dazu gerade aufgewirbelt wird. Seit diesem Montag, dem 1. September, ist es offiziell: Staubsauger dürfen jetzt nicht mehr als 1.600 Watt Strom verbrauchen. So bestimmt es die Ökodesign-Richtline der EU. Ab 2017 sollen gar nur noch 900 Watt erlaubt sein, die Hälfte dessen, was die bislang üblichen Staubsauger im Schnitt verbrauchen: 1.800 Watt.

Nein, es wird jetzt keine Haushaltsgerätepolizei durchs Land ziehen und ältere Modelle konfiszieren. Jeder darf mit seiner alten Maschine so lange weitersaugen, bis dem Ding die Puste ausgeht. Auch die Geräte, die schon in den Lagern des Einzelhandels liegen, dürfen noch verkauft werden. Nur muss die Industrie darauf achten, dass neu ausgelieferte Maschinen dem aktualisierten Standard entsprechen. Ein erweitertes Infosiegel soll die Verbraucher nun auch über die Lautstärke und den Staub in der Abgasluft informieren.

Die Maßgabe ist ein Baustein der europäischen Klimapolitik. Immerhin soll der Energieverbrauch auf unserem schrägen Kontinent bis 2020 um mindestens 20 Prozent sinken. Allein mit der neuen Staubsaugerverordnung würden ab 2020 rund 19 Terawattstunden eingespart, rechnete man in Brüssel vor. Dies entspreche der Jahresleistung von vier Atomkraftwerken, hieß es. Das klingt nach einem guten Plan, da kann man eigentlich nicht meckern.

Genau das tun manche aber: meckern. In Großbritannien warnten Verbraucherschützer, die schwächeren Geräte würden es nicht bringen, man solle sich schnell noch einen Turbosauger sichern. Hierzulande hat die CDU im Europawahlkampf gegen die Ökorichtlinien gewettert. Die FAZ führte nun auf, was die EU sonst noch auf dem Kieker habe: Fitnessgeräte, Akkuschrauber, Föhne, Rasenmäher, Smartphones, Videobeamer, Wasserkocher und diverses Aquariumzubehör – also den gesamten Hausstand einer mittelschichtigen Standardfamilie! Vielleicht kam Spiegel Online deshalb zu dem schlecht gelaunten Schluss: „In Brüssel herrscht ein trübes Menschenbild.“

Auch ich bin skeptisch. Meine Zweifel richten sich aber zuerst auf die reflexhafte Abwehr gegen das, was „die da oben in Brüssel“ sich wieder ausgedacht haben. Ich finde: Die Klimaziele klingen gut. Und ich bin alt genug, mich daran zu erinnern, wie Autofahrer aufheulten, als in den 80er Jahren der Katalysator Pflicht wurde. Und heute? Fahren wir uns doch immer noch ganz ungebremst gegenseitig tot! Andererseits finde auch ich Energiesparlampen schlimm, schon vom Licht her, ganz abgesehen vom Quecksilberproblem und dem Lobbyismus, der hinter dem Verbot der alten Glühbirnen stehen soll („soll“ – da ist es wieder).

Und generell frage ich mich: Beruhen die großen Klimaprobleme tatsächlich auf dem Staubsaugen, dem Fischefüttern, dem Wasserkochen? Nicht eher auf dem Energieverbrauch der Großindustrie? Die das Zeug herstellt, das wir kaufen sollen? Mein Staubsauger heißt Vampyr. Ich werde ihn noch ungefähr 300 Jahre benutzen. Um Elektroschrott zu vermeiden.

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

Katja Kullmann

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