Um nicht den Eindruck zu erwecken, völkerrechtswidrige Kriege zu humanisieren und damit führbar zu machen, lehnt medico international Hilfen unter militärischem Kuratel, wie dem vom Pentagon geführten Humanitarian Operations Center (HOC) ab. Gleichzeitig kann und will sich medico international der Verpflichtung gegenüber den unter dem Krieg leidenden Menschen und den langjährigen Partnern im Nordirak nicht entziehen und hat deshalb für die akute Situation über 60.000 Euro für die Kurdish Health Foundation zur Verfügung gestellt. Die medico-Partner befürchten eine kurzfristige Versorgungskrise und bereiten sich auf die Unterstützung und medizinische Betreuung von Flüchtlingen aus dem Zentralirak vor. Mit der medico-Unterst
Die gute Tat
Humanitäre Hilfe Wie Helfer helfen, den Krieg zu humanisieren, und dabei ihre Unschuld verlieren
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Zentralirak vor. Mit der medico-Unterstützung werden Ambulanzen finanziert, in denen Notoperationen durchgeführt werden können und in denen eine Grundausstattung von Medikamenten vorhanden ist. Außerdem sind mobile Teams zur Unterstützung und Notfallversorgung der Bevölkerung und von Flüchtlingen gebildet worden. Darunter sind auch Spezialeinheiten, die für den Fall eines Chemiewaffeneinsatzes ausgebildet und ausgerüstet sind.Unter allen Umständen will man den Opfern beistehen. In einer verwirrenden Welt, in der das Gute abhanden gekommen scheint, wenigstens etwas. »Tausend Fragen - eine Antwort: Helfen.« Dieses Motto einer großen Entwicklungsorganisation bringt es auf den Punkt. Ein Gipfel der Ratlosigkeit. Der eingängige Slogan kann nur mühsam verbergen, welche dubiosen Folgen ein solches kontextloses Hilfsverständnis hat. Denn bei Licht betrachtet wirkt diese Hilfe, auch wenn sie noch so neutral und selbstlos daher kommt, durchaus zweischneidig. Hier werden durch die Medialisierung der Politik und die Neoliberalisierung des Sozialen jene Fehler wiederholt, die man zumindest im entwicklungspolitischen Diskurs bereits vor zwanzig Jahren erkannt und gebannt zu haben glaubte.Tausend Fragen - eine Antwort: HelfenSo brachten sich im Vorfeld des Irak-Krieges nicht nur die Militärs und die Medien in Stellung, erhöhten nicht nur die Mineralölkonzerne »vorsorglich« die Preise, rüsteten die Baufirmen für den Wiederaufbau. Auch die Hilfe wurde fast schon generalstabsmäßig für die zu erwartenden Flüchtlingsströme organisiert. Während professionelle Desasterexperten das Terrain sondierten und den Zugang zu den antizipierten Opfern erkundeten, kümmerten sich die Zentralen um Spenden und Zuschüsse.Die Maßnahmen sind einleuchtend. Und doch ist darin bei allem guten Willen die Humanisierung des Krieges gleich mitgedacht. Die Perfektionierung der Hilfstechnik - das ist das Paradoxe - hat ungeahnte Nebenwirkungen. Die vermeintliche Humanisierung des Krieges scheint diesen wieder führbar zu machen, und die Hilfsorganisationen werden ungewollt zum Teil einer Strategie, in der kriegerische Einsätze als politische Option legitimiert werden. Auch wenn sie sich für neutral erklären und in Kriegszeiten keine Zuschüsse von kriegführenden Parteien nehmen, bleibt das Dilemma offenkundig. Eines, das traurige Tradition hat. Bis heute beschäftigt sich das Internationale Rote Kreuz mit der Aufarbeitung seiner Geschichte im Nationalsozialismus. Unter Wahrung strikter Neutralität hatte man sich Zugang zu den KZs verschafft, um den Preis des Schweigens über die dortigen Vorgänge. Die konkrete Hilfe für die Opfer stand in keinem Verhältnis zur Hilfe, die das IRK für sie hätte leisten können, wenn es sein Wissen über die Vorgänge in den KZs offengelegt hätte.Erste Hilfe für die Opfer ist notwendig. Aber kann den Opfern nur dann geholfen werden, wenn die Helfer »ungehinderten Zugang« haben? Seit der ersten »humanitären Intervention« in Somalia, für die sich die amerikanische Hilfsorganisation »Care« stark gemacht hatte, schrecken manche Helfer nicht davor zurück, für die Hilfskonvois militärischem Geleitschutz zu fordern. Das desaströse Ende der Somalia-Operation hätte solchen Forderungen eigentlich den Boden entziehen müssen. Militärs und Hilfsorganisationen verließen nach einem tödlichen Angriff der warlords Somalia Hals über Kopf und überließen das Land und die Menschen sich selbst. Aber wer verfügt schon über mehr als ein mediales Kurzzeitgedächtnis? Und so lebt die Forderung, weil sie so plausibel erscheint, immer wieder auf, nach dem Motto: Tausend Fragen - eine Antwort: Helfen.Militarisierung der HilfeMittlerweile wird die Hilfe immer öfter vom Militär selbst erledigt. Damit erscheint die humanitäre Katastrophe nur als technisch-logistische Herausforderung. Dass viele Helfer wenig vom Irak und seinen Menschen wissen, ist kein Hindernis. Eine solche Hilfe folgt vor allem technisch-ökonomischen Kriterien und erhebt gar nicht erst den Anspruch, in Kriegsopfern mehr als Objekte einer möglichst effizienten Versorgung zu sehen. Kriege und andere menschengemachte Katastrophen werden als unausweichlich angenommen, deren Folgen zu lindern sind.Dieser humanitäre Pragmatismus schenkt dem Kontext wenig Beachtung. So kam es, dass im Kosovo die unter der Verfolgung von Milosevic entstandene illegale zivile Struktur durch die massive Präsenz ausländischer Hilfsorganisationen zerstört wurde. Wer sich auskannte, gut gebildet war oder über Beziehungen verfügte, landete bei einer ausländischen Hilfsorganisation als Übersetzer, Fahrer, Putzfrau. Hier verdiente man allemal mehr als in der einheimischen Selbstverwaltung.Derselbe Braindrain lässt sich in Afghanistan verfolgen, wo allein die horrenden Mietsteigerungen in Kabul den wenigen einheimischen Zivilstrukturen das Überleben fast unmöglich machen. Ähnlich war es auch nach dem Kurdenaufstand im Nordirak infolge des ersten Golfkrieges. Die kurdischen Flüchtlinge, die versuchten, vor Husseins Garde in die Türkei zu fliehen, wurden durch ein schnell entstandenes Netz kurdischer Selbsthilfe in der Türkei versorgt. Ganze Kommunen organisierten die Nothilfe aus eigener Kraft. Bis auf wenige Ausnahmen fanden sich jedoch keine ausländischen Organisationen, die diese Bemühungen unterstützt hätten. Stattdessen lief das eingeübte Routineprogramm ab, das die vorhandenen Strukturen der Selbsthilfe geflissentlich übersah.Care-Pakete für den FeindAuch in den Vorbereitungen eines möglichen Irak-Krieges spielte die Frage nach ungehindertem Zugang eine entscheidende Rolle. Wurden ausländische Hilfsorganisationen bislang vom Hussein-Regime daran gehindert, ins Land zu kommen, so fürchten viele nun zu Recht, dass auch die kriegführenden Parteien unter der Ägide der USA wenig Interesse an unabhängigen Augenzeugen haben. Manche Hilfsorganisationen vermuten, dass die Militärs die Hilfsleistungen selbst übernehmen wollen, um in der irakischen Bevölkerung ihre Akzeptanz zu steigern. In Afghanistan wurde das bereits erprobt: Zuerst warfen amerikanische Flugzeuge gelbe Lebensmittelsäcke vom Himmel, die allerdings den tödlichen Clusterbomben zum Verwechseln ähnlich sahen. Inzwischen verteilen Soldaten im Osten Afghanistans, wo nach wie vor unbemerkt von der Weltöffentlichkeit Kämpfe stattfinden, unter vorgehaltenem Gewehr Lebensmittel.So einleuchtend die Forderung vieler Hilfsorganisationen nach ungehindertem Zugang zu den Kriegsopfern ist, so problematisch ist sie auch. Nicht nur im Falle Irak bewegt sie sich in der herrschenden Logik, die zu erwartenden Flüchtlingsströme dirigieren und kontrollieren zu wollen; allerdings nicht zum Schutz der Betroffenen, sondern zum Schutz der Nachbarländer, die Menschen, die ohne Hab und Gut ins Land kommen, möglichst fernhalten wollen. Da viele Flüchtlinge in den Nachbarländern Familienangehörige besitzen, auf die sie sich stützen könnten, werden auf diese Weise auch Versuche zur Selbsthilfe unterbunden.So haben alle Anrainerstaaten des Irak, darunter enge Verbündete der USA wie die Türkei, bereits erklärt, dass sie ihre Grenzen schließen und keine Flüchtlinge passieren lassen werden. Das widerspricht der UN-Flüchtlingskonvention, die allen Menschen, die vom Krieg bedroht sind, das Recht auf Flucht einräumt. Auch die Bundesregierung verweigert irakischen Flüchtlingen nach wie vor den gesicherten Flüchtlingsstatus mit dem Verweis auf »Binnenfluchtmöglichkeiten«.Unter den gegebenen Umständen sind auch die Bedingungen für humanitäres Handeln gesetzt. Statt lokale Partner zu fördern, was sinnvoll und nachhaltig wäre, sind die internationalen Helfer gezwungen, mit eigenem Personal vor Ort tätig und in den Medien präsent zu sein. Aber nicht nur eine Medialisierung, sondern auch die Kommerzialisierung der Hilfe zeichnet sich ab. Fundraising und Zuschuss-Akquise droht zum ausschlaggebenden Effektivitätskriterium für Hilfsorganisation zu werden. Am Ende könnten Hilfsorganisationen stehen, die als - wenn auch professioneller - Reparaturbetrieb der herrschenden Machtbalance eingesetzt werden.In den vergangenen 15 Jahren haben Hilfsorganisationen einen erheblichen Bedeutungszuwachs erlebt. Angesichts der Militarisierung in der Außenpolitik und der Kommerzialisierung des Sozialen könnten sie diesen Kredit schnell wieder verspielen. Letztlich stehen deshalb alle vor der Frage, ob sie sich an den ökonomischen und politischen Markt anpassen oder eigene Kriterien für eine sinnvolle Hilfe entwickeln. Einen solchen Verhaltenskodex gegen die scheinbar unüberwindliche Marktlogik durchzusetzen, könnte Hilfsorganisationen davor feien, zu reinen Hilfsabwicklern zu werden und damit ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.Vom 28.-30. März 2003 führt medico international eine Konferenz unter dem Titel »Macht und Ohnmacht der Hilfe« in Frankfurt am Main durch, auf der die hier angerissenen Fragen ebenso diskutiert wie über Perspektiven einer anderen Hilfe nachgedacht werden sollen. Weitere Informationen unter www.medico.deKatja Maurer ist Pressesprecherin von medico international
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