Auf der BÜHNE Der irische Dramatiker Enda Walsh trifft den Nerv der Generation, mit deren Vertretern er in München sein neues Stück "Chatroom" inszeniert
J. K. Rowling ist der Feind. Man müsste sie unschädlich machen. William echauffiert sich: "Das Leben ist zu kurz. Wenn die Welt irgendwie vorankommen soll..., sollten wir gesagt kriegen, was wirklich los ist. ... Die versuchen, uns jung zu halten! Die wollen nicht, dass wir selber denken. Die sehen uns als Bedrohung. Die wollen, dass alles Fantasie bleibt. All diese Kinderbuchautoren... und diese Rowling-Tussi! Sie ist der Feind." Weltekel quillt ihm aus allen Poren. "Es ist ´ne Lüge!" "Alles Lügen, mit denen einen die Erwachsenen abspeisen." "Das machst du also hier im Chatroom, ein Mordkomplott schmieden?" "Genau." "Wir sind Teenager! Das hat mal was bedeutet. Da ging´s um Revolution, oder nicht?" Jack macht lieber Hausaufgaben. Er loggt sich aus.
Die "Jugend
ie "Jugend von heute" ist auch nicht anders als sie früher war. Der Soundtrack, von den Doors bis zu The Prodigy signalisiert es und Enda Walsh weiß es auch, siehe Disco Pigs oder Bedbound. Obwohl mit 38 kein Jüngling mehr, hat der irische Dramatiker ein gutes Ohr für die Nöte und Befindlichkeiten von Menschen zwischen dreizehn und achtzehn. Jugendliche sind altklug und verklemmt, großmäulig und schnell eingeschüchtert, idealistisch, tief enttäuscht und meistens unterschätzt. Immer noch fühlen sie sich unwohl in ihren heranwachsenden Körpern. Sie fühlen sich allein gelassen, unverstanden und von der korrupten Erwachsenenwelt hintergangen. Das muss so sein. Dafür ist die Pubertät da. Aber wer ist für die Pubertierenden da, wenn´s mal brenzlig wird? Das Internet. William, Jack, Eva und Emily, Jim und Laura schütten ihr Herz nicht mehr dem besten Freund, der besten Freundin aus. Zu intim? Jedenfalls ziehen sie die Anonymität des cyber space vor. Sie surfen durch die Foren, auf der Suche nach Gleichgesinnten. Verstecken sich hinter coolen nick names. Keine richtigen Namen oder Namen der Schulen, auf die sie gehen, keine Details! Sie sind fünfzehn und wohnen in der gleichen Stadt, das muss genügen. Per Tastendruck und mouse click kotzen sie sich über die verlogenen Eltern aus, diskutieren über Harry Potter, Britney Spears´ Schönheitsoperationen und den Sinn des Lebens.Jim hat wirklich Probleme. Im Gegensatz zu Zyniker William, Zicke Eva, Emily, der Ex-Magersüchtigen, die an die Kraft der Liebe glaubt, und dem schüchternen Jung-Intellektuellen Jack, die sich im Chatroom für "Die verdammten Besserwisser" mehr oder weniger die nächtliche Langeweile vertreiben, braucht Jim dringend Rat. Laura aus dem Selbstmord-Room hat ihm den verweigert. "Wir geben hier keine Ratschläge. Ich höre nur zu." Also klickt Jim sich weiter. Depressionen? Die "Besserwisser" winken ab. So was sitzt hier zuhauf rum, weinerliche Teenies mit Kurt-Cobain-Schrein. Nein, so ist Jim nicht. Seine Mutter hasst ihn, sein Vater hat ihn mit sechs im Zoo stehen gelassen und ist nie wieder gekommen. Er ist überflüssig. Am besten, er macht Schluss. "Wie fühlt es sich an, depressiv zu sein", will Jack wissen. Ehrlich. "Das ist, als ob die ganze Welt sich in Suppe verwandelt hätte."Was immer das heißt, man glaubt es ihm. Die sechs Jugendlichen vom Kammerspiele-Club "M8 Mit!" sind sorgfältig typgerecht besetzt und kaum älter als ihre Rollen. Den Dialogen geben sie eine Glaubwürdigkeit, die ein Profi kaum herstellen könnte. Unaffektiert, ein bisschen aufgeregt manchmal, aber erfrischend direkt und eben vollkommen überzeugend. Es gibt keine Requisiten und die "Kostüme" - gewöhnliche Teenie-Alltagskluft. Der Chatroom im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele ist ein Holzpodium, von drei Seiten eingefasst von schulterhohen Bretterwänden. Rein und raus geht´s reibungslos, rund um die Uhr, durch Saloon-Flügeltüren. In einer Reihe sitzen sie hier auf sechs orangefarbenen Plastikstühlen. Und spielen, als hockten sie nicht jeder allein vor einem Bildschirm, sondern als säßen sie sich gegenüber. Soll heißen, die virtuelle Welt kann ganz schön real wirken, wenn man sich drauf eingelassen hat. Plötzlich kriegen die gesichtslos blinkenden Worte echte Macht. Für William und Eva, die nach Einfluss und Abwechslung gieren, ist das berauschend. Für Jim wird´s ungesund. Er soll sich, beschließen seine anonymen Pseudo-Freunde, öffentlich umbringen, "´n Zeichen setzen" im Namen aller unterdrückten Teenager. Da schreitet Laura ein, und Jim rafft sich tatsächlich zu einem Zeichen auf. Mutig und ganz unblutig. Danach regnet es bunte Seifenblasen. Romantik gehört schließlich auch zum Teenager-Sein.Die Sechs von "M8 Mit!" sagen, sie mögen ihre Figuren, weil sie starke Meinungen hätten und weil sie realistisch seien. Dafür hat sich Enda Walsh nächtelang in einschlägigen Chatrooms rumgetrieben. Die spielerischen Tabubrüche, ernsthaften Abrechnungen, die Aufschneiderei und die Machtspielchen beobachtet. In Fortsetzung seiner engen Zusammenarbeit mit den Kammerspielen, führte Walsh selbst Regie bei der deutschsprachigen Erstaufführung. Chatroom-Uraufführung war letzten Monat beim Jugendtheaterfestival "Shell Connections" am Londoner National Theatre. In Großbritannien und Irland reißen sich die Schultheatergruppen bereits um das Stück. Das übrigens auch für ehemalige Youngsters noch sehr ansehnlich ist.
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