Witze unter sich

Kino „Blind & Hässlich“ von Tom Lass ähnelt seinen Figuren: lustig auf Rebellion gebürstet, ohne zu wissen, wofür
Ausgabe 38/2017

Beschimpft und belogen werden die Leute in Blind & Hässlich, beleidigt, verlacht und ausgenutzt. Nach nur zehn Minuten möchte man annehmen, sämtliche Figuren des Films seien schlichtweg Säcke. Da gibt es im Blindenwohnheim zum Beispiel einen Hauswart mit verkniffenem Blick, der schon mal mucksmäuschenstill in der Waschküche sitzt, um heimlich die blinden Mädchen zu fotografieren, die dort halb nackt auf ihre Wäsche warten. Nur wenig später ist er dann wieder gut Freund mit ihnen, albert beim gemeinsamen Essen herum, weiß bei Problemen den passenden Rat und hilft sogar dabei, Paare wieder zusammenzubringen.

Im Umgang mit seinen Figuren ist Blind & Hässlich von Tom Lass ein ziemlich radikaler Film. Wenn sie nervig, dysfunktional, hinterhältig oder einfach unerträglich sind – und das sind sie von den Protagonisten bis zur kleinsten Nebenrolle allesamt, selbst ein Blindenhund ist hier „defekt“ –, dann wird das genauso unerbittlich ausgespielt wie bei den guten Momenten. Die gibt es auch, zugegeben.

Die Filme der Brüder Tom und Jakob Lass sind im deutschen Kino mittlerweile so etwas wie eine Marke. Sie handeln zumeist vom Erwachsenwerden, vom damit fast zwangsläufig verbundenen Einsamkeitsgefühl in der Großstadt; oft stehen angepunkte Mädchenfrauen mit wilden Haaren und starken Prinzipien im Mittelpunkt. Jakob Lass ließ sich seinen hipsterigen Mumblecore-Stil zuletzt bei Tiger Girl vom Geld der Constantin Film veredeln.

Tom Lass hält den Ball fürs Erste flacher. Blind & Hässlich wurde im Kontext einer Sendereihe produziert, deren wenig lässig klingender Name an die mehr als 50 Jahre erinnert, die es sie schon gibt: das kleine Fernsehspiel des ZDF, das schon erste Filme von Rainer Werner Fassbinder und Jim Jarmusch ermöglicht hat.

In seinem Film scheint Lass in der Rolle des Ferdi mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, den schweren Lidern und eingerissenen Lippen gelebte Trübtesse zu verkörpern. Ferdi ist ein junger Mann mit übermächtigen Komplexen: Er fühlt sich hässlich, traut sich nicht, auf Menschen zuzugehen, und wünscht sich doch nichts sehnlicher als eine Freundin.

Herumhängen auf Brücken

Da kommt Jona (gespielt von Naomi Achternbusch, Tochter des Filmemachers Herbert Achternbusch) gerade richtig. Sie trifft auf Ferdi, als er gerade von einer Brücke springen will. Weil sie blind ist, vermag er ihr trotz aller tatsächlichen und eingebildeten Unzulänglichkeiten gegenüberzutreten. Was er nicht weiß: Jona tut nur so, als sähe sie nichts, denn so kann sie kostengünstig bei ihrer Cousine im Blindenwohnheim wohnen.

Man bekommt von Blind & Hässlich, was man von einem Lass-Film erwartet. Erstens: einen Berlinfilm der unaufdringlichen Sorte. Lass sucht nicht nach Postkartenmotiven mit repräsentativen Wahrzeichen, bei ihm rückt die Stadt in den Hintergrund, ist eher durch energetische Atmosphäre spürbar: Herumhängen auf S-Bahn-Brücken, nachts mit Bier durch namenlose Neuköllner Straßen ziehen.

Zweitens kriegt man einen Cliquenfilm der Berliner Filmemacherszene. In kleinen Rollen sind Jakob Lass und dessen Schauspielerin Lana Cooper (Love Steaks, Tiger Girl) zu sehen, Robert Gwisdek gibt einen Augenarzt mit Schalk im Nacken, Anna Brüggemann eine WG-Casterin und ihr Bruder Dietrich (der gerade mit Stau beim Stuttgarter Tatort debütierte) einen Autoverkäufer namens Tom Lass – ein Witz zu Brüggemanns Komödie Heil (2015), in der Lass einen Regisseur namens Dietrich Brüggemann gespielt hatte.

Drittens bekommt man einen ganz und gar von sich eingenommenen Film. Darin ähnelt er seinen Figuren, die romantische Projektionen davon sind, wie freiheitsliebende Teenager mit Hang zur Rebellion in Berlin sein sollen – die handeln, ohne an Konsequenzen zu denken. Die nicht wissen, was sie wollen. Die ihren scheinbar verständnislosen Eltern davonlaufen und deren einzige Lösung für alle Probleme immer nur die Zweisamkeit ist.

Gelegentlich bändigt Blind & Hässlich auch den selbstsüchtigen Teenager in sich, zeigt, wie Leute sich verhalten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, ohne Erwartungsdruck. Immer wieder wird der vermeintlich blinden Jona einfach so zum Spaß der Finger gezeigt – oder auch mal der blanke Hintern. Ihr Chef, ein betont cooler, dauerhaft unter Strom stehender Clubbetreiber (Dimitri Stapfer) bricht am Telefon einmal völlig unerwartet in euphorisiertes Schwizerdütsch aus. Tom Lass hat mit Blind & Hässlich im Grunde weder eine Komödie noch einen surreal-fantastischen Film gedreht, auch wenn Elemente davon immer wieder in die Handlung platzen. Eine awkwardness schwebt dann in der Luft, die Jonas und Ferdis Unsicherheiten beinahe greifbar macht. Zwei Polizisten (Axel Ranisch und Karin Hanczewski) benehmen sich völlig beamtenuntypisch, so nahbar und kumpelhaft, dass sie höchstens als Jonas Erscheinung durchgehen können. Wenn Ferdi seiner Therapeutin (Eva Löbau) erzählt, er sei vor Jahren neben einer Babyklappe gefunden worden, weil er nicht mehr hineingepasst habe, ist das ein für den deutschen Film ungewöhnlicher Humor.

Die Probleme und Neurosen der Figuren werden darüber nicht vergessen – ob in Form echter Blindheit, als Depression und Verhaltensstörung oder vorübergehende teenage angst. Was Jona am Ende Ferdi ins Ohr sagt, kann als Conditio sine qua non fürs Ganze gelten: „Ich will, dass du jetzt an ein Wunder glaubst und keine Fragen stellst.“

Info

Blind & Hässlich Tom Lass D 2017, 98 Min.

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