Wer hätte das gedacht?

Gastkommentar Berliner Umweltzone rettet Automobilindustrie

Seit einem Jahr bin ich nun Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz in Berlin. Oder wie mancher argwöhnt: für Gesundheit, Umwelt und Verbote. Seitdem hat mich das Schauspiel um die frierenden Raucher, die ohne Heizpilz und Mantel - weil wahrscheinlich mittellos - im polarkalten Berlin stehen, fest im Griff. Wie eintönig - wäre da nicht noch der anhaltende Widerstand gegen die Einführung der Umweltzone in der Berliner Innenstadt ab 1. Januar 2008.

In einer Endlosschleife werden traurige Dramen um insolvente Handwerker und existenzgefährdete Gemüselieferanten aufgeführt. Der ADAC polemisiert, wir Sozialisten würden nun die Autofahrer enteignen. CDU und FDP bedienen sich als ewiggestrige parteipolitische Handlanger der Industrie- und Handelskammer mit der soundsovielten Auflage des alten Kampfspruches Freie Fahrt für freie Bürger! 60 Städte haben in Europa bereits eine Umweltzone eingerichtet oder planen sie. Geht es nach CDU und FDP soll es in der deutschen Hauptstadt weiter stinken.

Die sture Fixierung auf eine vermeintlich bürokratiegeschwängerte und vor allem ungerechte Ökopolitik des rot-roten Senats verstellt den Blick darauf, dass mit der Einführung der Umweltzone eine der größten Ungerechtigkeiten in dieser Stadt deutlich gemildert wird: sieben Prozent der Fahrzeuge in Berlin belästigen mit ihren Abgasen 100 Prozent der Innenstadtbevölkerung - immerhin eine Million Berliner.

Richtig ist, dass die Fahrverbote für Privatpersonen vor allem diejenigen mit dem kleineren Geldbeutel treffen. Richtig ist aber auch, dass ein Großteil der Geringverdienenden gar kein Auto hat. Und richtig ist besonders, dass es eben gerade die sozial Benachteiligten sind, die an den hoch belasteten Hauptverkehrsstraßen der Innenstadt wohnen. Operngänger aus den Einfamilienhäusern und Villensiedlungen am Stadtrand dürfen nachts in frischer Luft schlafen. Die allein erziehende Mutter im Weddinger Altbau und der Rentner im Kreuzberger Erdgeschoss atmen hingegen täglich frischen Feinstaub und frische Stickstoffoxide ein. Etwa zwei Fünftel des Feinstaubs und vier Fünftel der Stickstoffoxide kommen dabei aus dem Berliner Straßenverkehr. Industrie, Kraftwerke, Heizungen oder Ferntransporter spielen mit Anteilen von jeweils sieben Prozent nur eine marginale Rolle. Die Umweltzone stillt nicht meinen privaten Hunger nach ein bisschen grünem Image für die rote Senatorin - sie dient der Gesundheit eines Großteils der Bevölkerung.

Völlig aus dem Blickfeld gerät bei alldem die Rolle der deutschen Automobilindustrie. Sie ist offenbar nicht in der Lage, Nachrüstfilter für die eigens von ihnen hergestellten Fahrzeuge zu bauen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber wahrscheinlich sind die für den technischen Fortschritt verantwortlichen Hightech-Inder noch damit beschäftigt, Autos zu bauen, die auf deutschen Autobahnen keinesfalls langsamer als 130 fahren.

Als ob das alles noch nicht genug wäre, hat die EU nun auch noch CO2-Grenzwerte für Neuwagen festgelegt! Unser Bali-Held und Knut-Pate Sigmar Gabriel sieht sogleich einen "Wettbewerbskrieg" auf die geschundenen Unternehmen zukommen, Wirtschaftsminister Glos sogar den "Vernichtungsfeldzug gegen die deutsche Automobilindustrie". Porsche, Audi und Mercedes geben mit Horrorszenarien die Einpeitscher im Hintergrund. BMW muss gar Werke schließen. Natürlich nur, wenn dann überhaupt noch eines offen ist. Vor diesem Hintergrund muss man die Einführung der Umweltzone als rot-rote Gegenoffensive verstehen. Denn wenn sich nun alle neue Autos kaufen müssen ...

Und da sage noch einer, wir machen hier die Wirtschaft kaputt!

Katrin Lompscher ist Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz (Linkspartei).

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