Reis nach Rezept

Kehrseite Wenn alles so einfach wäre, denke ich, während ich auf den Küchenfliesen kniee und die Fleischpackung aus dem untersten Kühlschrankfach nehme, dann ...

Wenn alles so einfach wäre, denke ich, während ich auf den Küchenfliesen kniee und die Fleischpackung aus dem untersten Kühlschrankfach nehme, dann zwei gelbe Paprika und vier Tomaten. Tomaten dürfe man nicht in den Kühlschrank legen und überhaupt nicht zu anderem Gemüse, sagt Jannes. Rosa und sehnig quetscht das Fleischstück unter der Folie, darauf ein weißes Schild mit Strichcode, Hühnerbrustfilet, drei Euro vierundzwanzig. Ich versuche, nicht lange darüber nachzudenken, dass das kühlschrankkalte Stück Fleisch einmal warm und gut durchblutet über einen Hof lief. Für Jannes ist Fleisch einfach nur Fleisch. Einzig mögliche Nahrung. Etwas gegen den Hunger. Jannes hat immer Hunger. Als wir uns kennen lernten, war ich Vegetarier, ich war sogar Vegetarierin, zwei Gründe für Jannes, zu feixen. Was eine richtige Emanze sein wolle, hob er an, eine, die den Kühen ihr Grünzeug wegfuttert.

Die Folie dehnt sich um die Messerspitze, bevor die Schneide das Fleisch erreicht. Das Fleisch klatscht auf das Holz. Augen zu und durch, würde Jannes sagen. Ich blinzle, um mir nicht in den Finger zu schneiden. Dieses Huhn ist ohnehin nicht über einen Hof gerannt, sondern saß in einer Zelle zwischen anderen Zellen, beruhige ich mich. Rosa Sehnen unter dem Messer, kleine Würfel sind verlangt, ich muss das Fleisch festhalten, um es zu schneiden, es ist glitschig und kalt. Fleisch hat eine andere Kälte als Käse, eine irgendwie lebendigere.

Die Küchenuhr zeigt zwanzig vor acht, ich schiebe mit der Schneide die Fleischwürfel vom Brett in eine der Schüsseln, spüle meine Hände ab, dann Paprika und Tomaten. Ich schneide gelbe Würfel für die zweite Schüssel, rote für die dritte, Tomatenflüssigkeit läuft vom Brett hinunter, ich wische es auf, stelle die Maisdose auf den Lappen, setze den Dosenöffner am Rand an und drücke. Eigentlich finde ich Dosenfutter furchtbar. Letzten Dezember haben wir uns kennen gelernt. Im Internet. Kurz vor Weihnachten. Weihnachten haut den stärksten Single um, hat er irgendwann einmal gesagt. Banker mit Fabel für Zahlen stand in der Kurzcharakteristik. Logisch, dachte ich. Sympathische Chaotin, stand in meiner, Komma Vegetarierin. Eigentlich hätte ich viel mehr Zeichen gehabt. Aber ich mache ohnehin zu viele Worte. Wenn ich in das Feld so viele Worte reingeschrieben hätte, wie ich sonst mache, hätte Jannes mich bestimmt nicht angeklickt.

Ich hole das Buch aus meiner Tasche, Seite 187: Indisches Hähnchencurry. Zwiebeln habe ich vergessen. Zwiebeln solle man vorm Schneiden unter heißes Wasser halten, um nicht zu weinen, sagt Jannes immer. Ich ziehe Schale für Schale von der Kugel, bis sie weiß ist und kalt, halte sie unter heißes Wasser, schneide kleine Stücke, träne nicht, auf der Küchenuhr viertel vor acht. Wenn alles so einfach wäre. Das mit dem Gemüse weiß Jannes von Biolek. Wenn ich bei ihm war, lagen wir oft auf seinem Wohnzimmerteppich und haben Biolek geschaut. Ein dicker, weicher Teppich. Echtes Fell, hatte Jannes gesagt. Ich wollte nicht wissen, von welchem Tier. Biolek? hat er gefragt. Besser als Raab, habe ich dann geantwortet und dachte: Wenigstens hat er mich gefragt.

Wenn alles so einfach wäre, wie den Staubsauger über den Teppich zu schieben, helle Fusseln vom blauen Flurboden zu sammeln, dunkle vom Wohnzimmerteppich. Gründlich sein, diesmal gründlich. Auch die Ecken saugen, immer auch die Ecken. Dann duschen, den Rasierer in langen Bahnen ziehen, einmal, zweimal, damit kein Spalt bleibt. Nichts sei schlimmer als Spalten von Stoppeln, sagt Jannes. Sieben vor acht. Schnell den Körper abrubbeln, dann die Haare ins Handtuch wickeln, es ist nicht kalt, alle Heizungen sind auf drei gedreht, warm soll es sein, gemütlich. Eincremen mit der Straffungscreme, Jannes mag straffe Haut, darüber die neue Unterwäsche, rosa mit Blumen und Spitze, nur für den Fall. Für diesen Fall sollte es an Spitze nicht fehlen. Für diesen Fall ist ein guter Tag. Dann den Wein öffnen, damit er atmen kann. Der beste Wein nütze nichts, wenn er nicht atmen kann, sagt Jannes. Ich suche den Öffner. Klingeln. Der lange Zeiger auf zwölf, der kurze auf acht. Pünktlichkeit sei die halbe Miete und dazu preußisch. Ich weiß nicht genau, wo Preußen liegt. Und wo der Öffner liegt, auch nicht. Und die Musik, fällt mir ein, ich habe die Musik vergessen. Ich renne zur Tür, nehme den Hörer ab, Reifenrauschen, drücke den Summer. LEONARD COHEN liegt auf dem Stapel neben dem Player, bloß keine Liebeslieder von und für Frauen, dann fängt er wieder an mit der Emanzipation, und es wird nichts mit der Versöhnung. Dabei hat das Eine wenig mit dem Anderen zu tun. Jannes versteht das nicht, soll er sich um seine Zahlen kümmern. Cohen ist gut. COHEN sei ein Klassiker. Zu Leonard Cohen haben wir das erste Mal getanzt. Ich weiß gar nicht, wie man zu Cohen tanzt. Eigentlich tanze er nie. Acht Treppen, vierundsechzig Stufen, alle brauchen zwei Minuten, Jannes schafft es in einer.

Zeit, die Augenränder nachzuziehen, den Rock gerade zu zuppeln, die Tür aufzuschwingen. Jannes schnürt seine Schuhe auf und stellt sie ab in der vorgesehenen Lücke neben dem Schränkchen. Lücken zeigen, wo man hingehört, sagt Jannes immer. Jannes stemmt die Arme in seine Hüften, schiebt seinen Blick durch die rechte Tür, durch die linke, tritt in die Küche, inspiziert die Schüsseln in der Spüle, das Schneidebrett, die Messer, den Wok, hebt den Deckel, seine Brille beschlägt, das Buch liegt daneben, aufgeschlagen.

Du hast nach Rezept gekocht? Keine Nudeln mit Dosenfisch? Manchmal ist er bescheuert. Du bist bescheuert!, sage ich. Wir sollten ehrlich miteinander sein, hat er letzten Sonntag gesagt, was soll das sonst werden? Ich weiß auch nicht, was das werden soll, für Pläne ist er zuständig. Was will er hier? Was soll ich tun? Ich rühre ein paar Runden den Reis im Wok, das kann nicht falsch sein, das passt in jeden Plan. Er legt von hinten seine Hände auf meine Schultern, große warme Hände, er dreht mich zu sich um. Hallo erst mal, sagt er, drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Prima, denke ich und an Geschwisterschaft, an Männer-Frauen-Freundschaften, die nie gut gehen. Ich grinse schief, sehe den Korkenzieher unter dem Tisch, hebe ihn auf, drücke ihn Jannes in die Hand, deute auf die Gläser und die Flasche, stelle Teller auf dem Tisch ab, große weiße runde Teller, während er Wein in Gläser füllt.

Indisch isst man eigentlich ohne Besteck, sage ich, versuche weniger schief zu grinsen, ich weiß nicht, ob es gelingt. Jannes zieht die Augenbrauen nach oben, ich weiß nicht, ob das wegen des schiefen Grinsens ist oder wegen der Vorstellung, ohne Besteck zu essen, also lege ich zwei Gabeln auf den Tisch, dann Messer, dann eine Kelle. Lieber Löffel? frage ich. Setz dich doch mal hin, sagt er, drückt mich auf den Stuhl, große warme Hände auf meinen Schultern, mein Blick fällt auf die Schranktür, einen kurzen Moment sinke ich zusammen, dann ziehe ich mich an der Tischkante wieder hinauf, halte mich fest am Kerzenständer, rücke die Kerze zurecht, zurück, greife nach der Kelle, hebe zweimal buntes Gemüse in gelbem Reis auf seinen Teller, eine auf meinen. Jannes kann soviel essen, dass sein Bauch zu einer Kugel wird und am nächsten Morgen ist alles wieder flach. Guten Appetit, sage ich. Danke. Schmeckt es dir?, frage ich. Es ist perfekt. Vielleicht noch Salz?, biete ich an. Nein, es ist perfekt.

Wir gehen ins Wohnzimmer, ich zünde Kerzen an, zwei Stück pro Fensterbank, eine auf dem Tisch. Mit Kerzen sei es wie mit Blumen, man sollte ungerade Zahlen bevorzugen, sagt Jannes. Der Film, was ist eigentlich mit dem Film? Was ist das eigentlich für ein Film? Ich weiß nichts von dem Film. Irgendetwas stimmt nicht mit unserem Dasitzen, es muss am Abstand liegen, wir sitzen viel zu eng oder zu weit voneinander entfernt. Ich drehe mich um, greife das Kissen an den Zipfeln und schüttle es auf, Staub in der Luft, Jannes zieht seine Nasenspitze den Brauen entgegen, lehnt sich zurück, niest laut, ich gebe ihm ein Taschentuch, er rückt ein Stück fort, dreht mir den Rücken zu, schüttelte den Zellstoff aus, schnaubt, ich setze das Kissen in die Mitte des Sofas, greife nach meinem Glas, trinke, stelle es ab, rücke es weiter nach rechts, er hält meine Hände fest. Ich weiß nichts von dem Film. Ich weiß nicht, worüber wir reden, vielleicht schweigen wir die ganze Zeit, ich weiß es nicht.

Vielleicht hast du recht, sagt Jannes, wir sollten uns nicht mehr sehen. Es war eine dämliche Idee, einfach so rein zu schneien letzten Sonntag.

Ich stehe auf, hole mir warme Socken, dann ihm warme Socken, dann eine zweite Weinflasche, dann den Öffner, die Flasche fluppt, der Korken hängt am Gewinde, ich gieße nach, ich setze mich. Irgendetwas stimmt nicht mit unseren Händen, ich sortiere seine linke Hand auf die linke Sofalehne, die rechte auf seinen rechten Oberschenkel, dann lege ich meine Hände ab auf meinen Schoß. Habe ich etwas falsch gemacht? Nein, es ist wirklich alles perfekt., sagt Jannes, stellt sein Glas auf den Tisch, richtet sich auf, geht in den Flur, zieht seine Schuhe neben dem Schränkchen hervor und die Tür hinter sich zu. Wenn alles so einfach wäre, wie Lücken zu hinterlassen.

Katrin Merten wurde 1982 geboren, sie lebt in Leipzig. Sie schreibt Lyrik, Prosa und journalistische Beiträge für diverse Literaturzeitschriften und Zeitungen.


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