Es dauerte nicht lange, bis die rote Couch im Studio von Anne Will in aller Munde nurmehr "Betroffenheitssofa" hieß. Das telegene Reden mit echten Menschen fällt Moderatoren, die üblicherweise nur mit Prominenten zu tun haben, offenbar so schwer, dass sich die Verwunderung darüber in der Innenarchitektur niederschlägt. Am Wirklichkeitszirkus mit den echten Menschen beteiligt sich die anspruchsvolle Sendung nur ungern - und scheitert just daran, dass sie dieses Unbehagen als signalfarbenes Möbelstück exponiert.
Es geht auch anders. Wer in den neunziger Jahren "was mit Medien" machen wollte und deswegen beim Musikfernsehen landete, scheint heute prädestiniert für angenehm unterhaltsames Fernsehen zu sein, das gerade vor der direkten Konfrontation mit echten Menschen nicht zurückschreckt, sondern sie lustvoll sucht. Sarah Kuttner, Charlotte Roche und Stefan Raab heißen drei von denen, die keine Journalisten sind, aber oftmals die interessanteren Fragen stellen; die auch keine Schauspieler sind, obwohl der Umgang mit der Kamera ein durchweg lockerer, gleichsam unbewusster ist. Und die zwischen Personality und Persönlichkeit keinen Unterschied machen, weshalb sie sich selbst mit eindrucksvoller Selbstverständlichkeit ins Rampenlicht heben. Um ihre Eitelkeit dort ironisch auszustellen.
Schlag den Raab! nennt sich Raabs mit Abstand erfolgreichstes Format. Eine Live-Show, deren Länge und Lust am Überziehen selbst Thomas Gottschalk beeindrucken dürfte: Die Mai-Ausgabe sollte vier Stunden dauern, von 20.15 Uhr bis 0.15 Uhr, endete jedoch erst gegen 1.30 Uhr. In der Show geht es darum, dass Zuschauer in diversen Glücks-, Geschicklichkeits- und Sportspielen gegen den Moderator Raab antreten. Der ödipale Vater-Sohn-Wettstreit wird vom "Spielleiter" Matthias Opdenhövel zur heiligen Dreifaltigkeit vervollständigt. Dass der Titel (rein grammatikalisch) den Hauptdarsteller zum Objekt macht, ist natürlich nur eine masochistische Attitüde: Stefan Raab wird sicher nicht gerne geschlagen. Wichtiger dürfte es ihm jedoch sein, dabei die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Die Niederlage des postmodernen Mannes ist kein Fernsehtabu - solange sie im Duell passiert und mit den Machismen des Wettstreits ironisch kokettiert wird.
Bei den weiblichen, einstigen Viva-Talente stellt sich "Persönlichkeit" im Fernsehen freilich anders dar. Im kommenden Jahr startet auf MTV Sarah Kuttners neues Format Sarah Kuttner the Others. Die Moderatorin stelle sich, so vermeldet es ein Magazin, in jeder Folge "der Herausforderung, in eine andere Insiderszene oder Subkultur einzutauchen". Bereits in Kuttners Kleinanzeigen, die in diesem Jahr in der ARD zu sehen war, machte die Moderatorin sich auf die Suche nach dem Anderen, soll heißen: nach den absonderlichen Geschichten, die das Leben schreibt.
Seit dem 1. Oktober kann man Charlotte Roche jede Woche dabei zusehen, wie sie einen ähnlichen Aufklärungsanspruch auf den Arbeitsmarkt anwendet. Im Titel fällt ihr Name zwar als erstes, da er jedoch niemals alleine und für sich stehen kann, heißt die Sendung: Charlotte Roche unter ... Für die hat sich Roche jeweils als Ein- oder Mehrtages-Praktikantin bei einem Bestatter, einem Jäger, einem Altenpfleger, einem Trucker und der Müllabfuhr verdingt, um einen Arbeitsalltag vorzuführen, über den die meisten wohl tatsächlich wenig wissen. In einer kurzweiligen und dennoch recht entspannten halben Stunde trifft Roche auf einen Toten, den sie ankleiden muss, zählt sie Hasen und wundert sich über luxuriöse Fuchsfallen. Sie konfrontiert den Trucker mit den Vorurteilen, die es über LKW-Fahrer so gibt, und versucht, mit den Männern von der Abfallwirtschaft Schritt zu halten.
Wo Stefan Raab seinem Herausforderer höchstens ein wenig des ihm zugedachten Scheinwerferlichts zukommen lässt, nehmen Kuttner und Roche gerade den umgekehrten - typisch weiblichen - Weg der Empathie und Kommunikation. Die beiden, ja, Mädchen (im durchweg positiven Sinne) verlassen ihre angestammte und sichere Heimstatt, das Fernsehstudio, und begeben sich mithilfe ihrer Prominenz auf eine Odyssee durch die verschiedenen Milieus der Gesellschaft. Sie inszenieren sich dabei nicht als Zielscheibe gesellschaftlicher Begehrlichkeiten wie Raab, sondern verwandeln sich den echten Menschen wie ein Medium an. Mit allen äußerlichen Zuschreibungen ausgestattet, treten sie in verschiedene Innenwelten ein. Diesen Proben aufs soziale Exempel geht es aber nicht (das darf man Kuttners Format ungesehen unterstellen) um Bloßstellung wie etwa beim Frauentausch, sondern um mediale Integration. Also darum, das Jenseits des Fernsehens, den Zuschauer, ordentlich ins Bild zu setzen. Das geht nur ohne Betroffenheitssofa. Und mit ein paar Geschlechterrollen im Repertoire: Man muss schon mitspielen, um ab und an selbst die Peitsche schwingen zu dürfen.
Charlotte Roche unter ... Noch vier Folgen mittwochs gegen 23.10 Uhr, 3sat
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