"Da sitzen zu viele Tattergreise", antwortete laut einer Nachrichtenagentur die Autorin Wibke Bruhns auf die Frage, ob sie jemals zum Fernsehen zurückkehren wolle. Das Fernsehen dagegen kehrt immer wieder gern zu ihr zurück: Wibke Bruhns war die erste Frau, die im deutschen TV die Nachrichten verlas, in der 22.15 Uhr-Ausgabe der ZDF-Sendung heute am 12. Mai 1971. Fast genau 30 Jahre später, am 14. April 2001, saß Anne Will erstmals vor der Tagesthemen-Kamera, nachdem sie zwei Jahre lang durch die Sportschau geführt hatte. Mittlerweile sprach man nicht mehr vom "Verlesen" der Nachrichten, sondern vom "Moderieren" einer Sendung. "Moderieren", das bedeutet laut Duden "eine Rundfunk- oder Fernsehsendung mit einleitenden u. verbindenden Worten versehen". Und das kann Anne Will, so locker und flockig wie wohl nur wenige andere. Auch die Frisur ist längst nicht mehr so streng gesteckt wie einst noch der Schopf von Wibke Bruhns, im Gegenteil: Will und ihre Kolleginnen tragen das Haar meist offen als Ausweis ihrer Natürlichkeit, ab und an klemmt es sogar - wie nebenbei und liebevoll zurückgestrichen - hinter dem einen oder anderen Ohr.
So erscheint der 12. Mai 1971 im Rückblick als Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Frauen und Nachrichten, das gehört heute eigentlich untrennbar zusammen, vor allem seitdem Ulrich "Uli" Wickert, einer der wenigen Männer mit ähnlich vehement von den Medien inszenierter personality wie Will und ihre Kolleginnen Marietta Slomka und Gabi Bauer, den Nachrichten den Rücken gekehrt hat und lieber über Literatur nachdenkt. Von den Bruhnsschen Tattergreisen sieht man eigentlich recht wenig, "Frauen sind fürs Fernsehen jedenfalls besonders begabt - weil sie in der Regel anders kommunizieren und anders Interviews führen", erklärte auch Anne Will jüngst in einem Interview mit Spiegel Online anlässlich ihrer Übernahme der sonntagabendlichen Polittalkshow der ARD. Von der "permanenten Charme-Erwartung des Mediums an uns Frauen" war darin ebenfalls die Rede.
Mit dem Einzug der Frauen änderte sich immerhin - ob nun zufällig oder nicht - die Auffassung dessen, was die tägliche Nachrichtensendung zu leisten und zu bieten hat. Der Satz von Anne Will: "Herzlich willkommen zu den Tagesthemen, die heute ganz schön vollgepackt sind, deswegen legen wir auch ganz schnell los", wäre vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen, Unbewegtheit war lange Jahre Pflicht in den öffentlich-rechtlichen Faktenstuben. Bloß kein Zucken des Mundwinkels, bloß keine Falte auf der Stirn - nichts sollte zu sehen sein von dem privaten Teil des Verkünders der Tagesereignisse. Die moderierenden Frauen sind dagegen regelrechte Individualitätsschleudern, man sieht sie gerne als Kontrapunkt zu den trockenen Antlitzen von Merkel, Putin, Bush, Vogelgrippe, Erbschaftssteuer, Gazastreifen. Ist einfach schön menschlich, wie Will ihre Brauen in die Höhe zieht und Marietta Slomka den Augenaufschlag probt. Anne Will muss auch gar nicht mehr das obligatorische "Entschuldigung" sagen, wenn sie sich verspricht - sie lässt dann einfach einen Anflug von Grinsen über ihr Gesicht huschen und der Zuschauer verzeiht ihr, umgehend und für immer. Charme nennt man das im üblichen Sprachgebrauch. Und so avanciert "gutaussehend" zu einem Adjektiv, das im Nachrichtenzusammenhang plötzlich auch ganz absichtsvoll genannt werden darf, da schön und schlau nicht mehr als Gegensatzpaar funktionieren dürfen im Zeitalter des Postfeminismus - während man sich als Zuschauer weiterhin einfach nur die Irrelevanz des Aussehens wünschte. Vermutlich rührt aus diesem Dilemma von Oberfläche und Tiefe die Will und Slomka eigene und eigenartige Verschränkung von ironischer Distanz und emotionaler Beteiligung. "Jovial" ist vielleicht das beste Wort, um diese Haltung zu beschreiben, gerade Marietta Slomka hat manchmal einen leicht pädagogischen Tonfall.
Anne Will dagegen ist jovial wie eine Geliebte, die der Gedanke, dass Er sich für sie scheiden lassen könnte, echtes Grausen bereitet. Komm mir nur nicht zu nahe, gibt sie beständig zu verstehen, während sie zugleich mit uns zu flirten scheint. Wo Slomka Verständnis für Unbildung suggeriert, da meint man bei Anne Will manchmal ein wenig Zynismus zu spüren. Jedenfalls findet man in ihren Moderationen immer wieder eine Metaphorik, die umstandslos zwischen Ernst und Spaß vermittelt, uns an ihrer Hand hinaus aus der gefährlichen Welt und zurück ins traute kleine Heim führt. "Diese Nacht kann es gefährlich glatt werden ... die nächste Tagesschau kommt trotzdem unfallfrei", verabschiedete sie sich etwa am 10. Februar aus den Tagesthemen. Und so prompt wie sie geht, erscheint sie auch jedes Mal - vermutlich hat noch kein Moderator so punktgenau eingesetzt wie Anne Will, bei der Sprechen und Gesehenwerden in eins fallen. Nur in Interviews schweigt sie ab und an höflich - so lange eben der andere redet. Von einer allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden keine Spur, stattdessen scheint sie der Devise gedacht, gesagt zu folgen und dabei weniger mit dem Mythos der weiblich-intuitiven Plapperei zu kokettieren als vielmehr mit einem anti-intellektuellen Gestus, der Objektivität mit Gefühllosigkeit verwechselt und daher nur noch ironisch handeln kann.
So meint man also oft genug hinter die Maske der Anne Will zu blicken, und immer wenn der Oberkörper mit im Bild ist, fühlt man sich noch ein wenig mehr betrogen um die intime Gemeinschaft mit ihr. Denn dann ist da plötzlich ein Tisch und ein Studio und ein Beisitzer, die ironische Coolness ist dahin, nun wirkt sie wirklich kühl und gar nicht mehr so arg sympathisch wie ihr bildschirmfüllendes Porträt. Sie ist eben tatsächlich auch nur ein Mensch. Dass sie sich um diesen Eindruck manchmal so offensichtlich bemüht, mag man ihr deshalb verzeihen.
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