Auge für die Details

Tatort Ein Tatort, der nicht viel mehr sein will, als ein spannender Krimi. Außerdem sieht in "Tote Männer", wozu die deutsche Mutter außer Liebe und Zuneigung noch fähig ist

Krimis kann man so oder so erzählen: nach dem Columbo-Prinzip – alle wissen, wer der Schuldige ist, man muss es ihm nur nachweisen – oder nach dem Prinzip des Who-dunnit. Letzteres wird allgemein für tragfähiger und quotenträchtiger gehalten, weil der Zuschauer beim Detektiv-Spielen mitmachen darf und sich auf die Schulter klopfen kann, wenn er des Rätsels Lösung früher als die Experten entdeckt. Zumindest so lange die Geschichte glaubwürdig erscheint und wir nicht auf die Frage zurück geworfen werden: Wie doof muss die Polizei eigentlich sein, dass sie nicht sieht, was wir längst ahnen?

Ein Tatort darf sich freilich nicht solch plumper Tricks wie Barbara Salesch oder Alexander Hold bedienen, indem er kurz vor Schluss einen Überraschungszeugen aus dem Hut zaubert. Bei Tote Männer lautet der Grund für die Tomaten auf den Augen also: Stedefreund hat ein schlechtes Gewissen. Da er das Opfer kurz zuvor bei einem Einbruch beobachtet, dieses Ereignis aber nicht gemeldet hat, weil er gerade mit der Tochter seiner Chefin herumknutschte, strebt er übereifrigst danach, den Fall möglichst schnell hinter sich zu bringen – und greift bei dem Versuch der professionellen Ehrenrettung entsprechend gründlich daneben.

Hätte er nur mehr Fernsehkrimis geguckt! Dann wüsste er nämlich, dass der Erstbeste selten nur der Täter ist, und hätte längst verinnerlicht, dass die dunkelsten Abgründe hinter den heilsten Weltkulissen lauern. Das ist ja tatsächlich immer wieder eine hübsche Moral von der Geschicht'. Allerdings muss sich dafür ein ums andere Mal ein Durchschnittsbürger als durchgeknallter Serienmörder entpuppen, und das fällt in dem Fall selbst der darin durchweg erprobten Fritzi Haberlandt schwer. Der zugehörige Satz lautet: "Wissen Sie, was komisch war? Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen dabei." Wenigstens muss sie nicht irre grinsen oder gar kichern.

Aber wir wollen nicht allzu ungerecht sein, denn dieser angenehm schlichte Tatort hatte ein aufmerksames Auge für die Details, fand reizvolle Metaphern und sorgte sich mehr um Mimik und um Perspektive als um die Dekoration. Obwohl es sich durchaus angeboten hätte angesichts eines toten Libanesen und eines werdenden Familienvaters, der seine Homosexualität weder zugeben noch verdrängen kann, blies der Film keine Themen zu kritischen Komplexen auf, um irgendeiner politischen Betroffenheit das Wort zu reden. Das kommt der Realität deutlich näher als die mittlerweile zahlreichen Tatort-Lehrstücke über Migration und/oder Sexualität, die über dem Bemühen um Problematisierung nicht selten die Story aus den Augen verloren.

Deshalb zeigt sich auch die Tatort-Tugend des symmetrischen Erzählens von einer schönen Seite, die Geschichten der Ermittler und der Verdächtigen spiegeln sich auf gelungen dezente Weise: Hier Mama Inga Lürsen, die es nur schwer erträgt, dass Stedefreund und ihre Tochter gerade locker miteinander ins Bett gehüpft sind. Und ihr gegenüber die schwangere Jutta Hartwig, die so wunderbar seufzen kann, dass sie nie wie ihre Mutter habe werde wollen, aber … dann doch die schmutzige Wäsche ihres Mannes wäscht und fürs Familienleben über Leichen geht. Genauer gesagt: über Wasserleichen, frei nach dem Motto: Zurück in die Ursuppe mit dir! Die deutsche Mutter als Mordsweib, das sieht man doch recht gerne in Zeiten von "Elterngeld", Kitastreik und "Prenzlzwerg".

Dass die mangelhafte Trennung von Freizeit und Beruf auf ein Vergehen hindeutet, erzählt nicht nur die Affäre zwischen Stedefreund und Lürsens Tochter, die das unerlaubte Ausdehnen der Ermittlungen in den Feierabend zur Folge hatte. Sondern nennt der Fall selbst noch genauer beim Namen: Wenn der Elektriker Leon Hartwig seine Homosexualität auslebt, dann heißt das "Nachtschicht", während ihm zu Hause nicht einmal die Installation eines Kinderzimmerlichts gelingen will, er stattdessen Kurzschlüsse produziert. Und wenn seine Frau seine Liebhaber zur Strecke bringt, nimmt sie dafür ihren Firmenwagen. Den mit den lachenden Brötchen drauf, dank dessen Wiedererkennungswert sie am Ende – natürlich durch Mutter Lürsens Hand – zur Strecke gebracht wird.

Noch schlimmer als ein Hund beim Tatort: zwei Hunde.
Ein tierischer Kalauer, der leider nicht gerissen wurde: Im Beton sind alle Katzen grau.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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