Beliebt, bekannt, begehrt

Spam-Kolumne Wir brauchen viel Aufmerksamkeit und senden ständig Hilferufe ins Netz. Erhört werden wir oft nur von Spammern, und die haben ihre eigene Art zu antworten

Hurra, die Welt ist interessiert an mir, sie nimmt an meinem Leben teil, sie kümmert sich um mich. Zumindest, solange man den Spam-E-Mails Glauben schenkt: Jeden Tag lädt mich a friend persönlich ins Kasino oder eine exklusive Online-Apotheke ein, erhalte ich e-kisses oder e-crushs von Freunden und Unbekannten – um zu wissen, von wem, muss ich selbstverständlich hier oder dort klicken –, bekomme ich Angebote für bestens dotierte Jobs ("Sind Sie schon mude von solchen Briefchen, in dem man Ihnen einen Arbeitsplatz anbietet? Ich weiss das. Aber …"), wollen mich Leute persönlich kennen lernen oder mir wenigstens eine vertrauliche Empfehlung aussprechen ("I saw your profile online"). Ein gewisser Jficoajy verfolgt meine Google-Anfragen, Jon Shirov will mich beim FBI wegen der illegalen Links meiner Website auf Kreditkartenbetrüger melden und Dr. Bryndon Furness informiert mich darüber, dass die Zeitung über mich berichtet hat.

Selbst wenn mein Auto (ich habe gar keines) angefahren wurde und irgendwo eine Bombe explodiert, fragen fremde Menschen gleich nach, ob es mir gut geht oder ich Hilfe brauche ("I hope you are ok"). Von den zahllosen russischen Frauen – "Ich liebe das Theater, das Museum, ich liebe, in der Gymnastik geliehen zu sein, und ich besuche die Wettkämpfe, den Saal, aber die Arbeit entlehnt viel meiner Zeit" – die mich heiraten wollen, mal ganz zu schweigen. Ich bin beliebt, begehrt, bekannt.

Das Elend der Anderen

Es ist natürlich kein Zufall, dass das Wörtchen "You" zu den liebsten der Spammer gehört. Ein "Du" ist schließlich ähnlich flexibel wie ein "Ich": Während mit dem "Ich" immer der Sprecher gemeint ist, meint das "Du" immer den Angesprochenen, wer auch immer das jeweils sein mag; bei einer E-Mail mithin jeder Empfänger. Im Grunde ist dieses "Du" also reichlich redundant: Davon, dass ich gemeint bin, wenn eine E-Mail an mich adressiert ist, sollte ich doch eigentlich ausgehen können. Kann (und sollte) ich bei Spam-Mails aber gerade nicht – deswegen moppeln Spammer diese so allgemeine wie individuelle Adressierung gerne doppelt, damit ich nur nicht auf den falschen Gedanken komme, hier sei – von a friend oder Dr. Bryndon Furness – womöglich nicht nur ich angesprochen, sondern – was für eine Idee! – außer mir noch Millionen andere.

Doch dieser groteske Gebrauch des Worts "Du" ist nicht einmal das Schlimmste, das solche Spams vor Augen führen. Das Elend an ihnen ist vielmehr: Sie könnten alle wahr sein. Die meisten Menschen besitzen ja wirklich mehrere Online-Profile, die ihnen Bekanntschaften oder Jobangebote (und manchmal leider auch Probleme) bescheren. Und die meisten besitzen diese Profile genau zu diesem Zweck: um endlich wahrgenommen zu werden, sei es nun von Frauen, Freunden oder Arbeitgebern. So bitter schlägt der Zwang zur Eigenwerbung auf uns Ego-PR-Fachkräfte zurück: Sollte die Welt tatsächlich einmal auf unsere Aufmerksamkeitshilferufe antworten, dann handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um Spam.

In ihrer Kolumne öffnet uns Katrin Schuster regelmäßig den Blick in die Abgründe und Absurditäten der elektronischen Post. Letztes Mal beschäftigte sie sich mit der Krise und den Spams

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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