Am Anfang war Angela Merkels Gesicht schwarz-weiß und längs halbiert. Das änderte erst der Relaunch ihres Video-Podcasts während der Sommerpause: Nun strahlen ihre Augen auf dem Titelbild so hellblau wie nie zuvor, drei Rechtecke leuchten in den deutschen Farben, und Frau Merkel sitzt nicht mehr wie eine Fernsehansagerin vor aussagelosen Einspielern, sondern hält ihre paar-minütigen Vorträge mal stehend zwischen Flaggen, mal leidlich locker am Tisch lehnend. Auch der Vorspann wurde renoviert: Vorher schnitt die Kamera Bilder nacheinander, die die Bundeskanzlerin präsentierten, wie sie diesen und jenen Prominenten anlächelt, wobei eine unglückliche Animation die Dargestellten wie Pappkameraden einer Schießbude wirken ließ. Jetzt wird nurmehr die Architektur der Macht in Szene gesetzt: Die Kamera zeigt das Kanzleramt, zeigt die Siegessäule, zeigt den Reichstag, fährt über den Tisch, auf dem ein Schild mit der Aufschrift "Bundeskanzlerin" steht. Außer Angela Merkel kommen kaum Menschen vor.
"Neue technische Möglichkeiten faszinieren nicht nur junge Menschen - auch ich habe Freude daran. Und deshalb möchte ich Ihnen ziemlich regelmäßig auf diesem Wege erläutern, was die Bundesregierung bewegt - im doppelten Wortsinn", erklärte Angela Merkel in ihrem ersten Video-Podcast am 8. Juni 2006. Die Kanzlerin direkt nennt sich die wöchentliche Online-Show, vor dem "direkt" ist ein kleiner Pfeil, der klickt geräuschvoll - damit man auch merkt, wie internet-aktiv es hier zugeht. Tatsächlich ist der Video-Podcast der Kanzlerin so öde wie befürchtet. Wir wollen, wir werden, wir möchten, heißt es ohne Unterlass, außer Beschwörungsformeln, Absichtserklärungen und anderen Verlautbarungen, nichts gewesen. So bleibt nur, es sympathisch zu finden, dass Angela Merkel sich immer noch schwer tut mit der medialen Eigen-PR.
Mit offenkundiger Freude über so viel live, so viel echt und so viel direkt haben ein paar Studenten nun das - nach eigenen Worten - "Pendant" zu Merkels Podcasts ins Leben gerufen. Direkt zur Kanzlerin! heißt das Portal. "Jeder Bürger hat damit die Möglichkeit, sich mit seinen Fragen direkt an die Kanzlerin zu wenden", erklären die Gründer in den FAQs. Und: "Es wird dem Bürger dadurch ermöglicht, sich in bisher nie da gewesenem Maße Gehör bei seiner Regierung zu verschaffen." Wie das funktioniert? "Communination" nennt sich das Verfahren ganz gemäß der Wortverschmelzung-Lust des Web 2.0: Jedermann kann Fragen schicken, aus allen täglichen Einsendunge wählt ein Zufallsgenerator pro Themengebiet eine aus, deren Seriosität überprüft und die anschließend online gestellt wird. Dann können sich die Leser den verschiedenen Anliegen anschließen, am Ende der Woche hat sich so eine Top Ten ergeben, die an die Kanzlerin weitergeleitet wird. Jedoch beantwortet sie nur die ersten drei davon. Halt: Angela Merkel macht das natürlich nicht selbst. Zwar steht auf der Website vielversprechend: "Die Kanzlerin antwortet ... Lesen Sie weiter", doch gleich der erste Satz belehrt den Leser, wie direkt die Demokratie hier funktioniert: "Die Bundeskanzlerin dankt Ihnen für Ihre Zuschrift und bittet uns, Ihnen zu antworten." "Uns", das meint das "Presse- und Informationsamt der Bundesregierung", das an Merkels Statt als Beantworter und Unterzeichner fungiert. Von dieser Stelle konnte man allerdings auch bislang Antworten auf bürgerliche Fragen erhalten.
Dennoch freute sich einer der Studenten in der Süddeutschen Zeitung über diese "Agora des 21. Jahrhunderts!" und so viel "pure Demokratie!". Die Politikprofessoren an seiner Uni seien begeistert gewesen, erzählte er. Darob kann man sich nur wundern. Oder den Initiatoren unterstellen, übersteigerte Merkel-Fans zu sein. Denn so wenig deren Video-Podcasts in irgendeiner Weise interaktiv sind, so wenig ist es Direkt zur Kanzlerin!. Einweg-Kommunikation hier wie da, mittelbarer geht es kaum. Dass die Antworten des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung mit abspeisenden Standardsätzen vollgepfropft sind, muss wohl nicht gesondert betont werden. Das Konzept war wohl, den Menschen Angela Merkel zu erreichen - damit sie auch menschlich antwortet und eben nicht den üblichen Sermon herunterbetet. Ob das bei politischen Personen überhaupt geboten ist, steht wiederum auf einem anderen Blatt.
Denn ohnehin scheint das Projekt bereits im Grunde gescheitert: Der Plan sah offenbar vor - warum auch immer -, dass die Bürger ihre Fragen ebenfalls in Videopodcasts oder in irgendeinem anderen hippen Format stellen - live, echt und direkt eben. Bislang geht jedoch ausschließlich Schriftliches ein, das - um es zumindest hörbar zu machen - von den Studenten verlesen wird, damit wenigstens ein mp3 zum Download zur Verfügung steht. Reine Formalitäten, um ein zeitgemäßes Aroma zu verströmen. Laut grafischer Darstellung will das Communination-Verfahren denn auch zuallererst die Aufmerksamkeit der Medien erregen und erst danach die der Politik.
Eine positive Überraschung ist allein die Ernsthaftigkeit, mit der sich all die Bürger um Formulierungen und Themen bemühen. Die Hoffnung, ernsthaft Gehör zu finden bei denen da oben, scheint noch nicht verloren. Dass allerdings Anfragen wie die folgende in die Top 3 gelangen, bleibt ein Rätsel - oder eben doch nicht: "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin", schrieb einer, "als Kanzlerin in Deutschland verdienen Sie meine größte Hochachtung. Endlich mal ein Mensch, welcher tatsächlich etwas für das Volk unternehmen will. Noch dazu haben Sie das Sternzeichen, welches diesem Mißstand ein Ende setzen kann. Die im Betreff hier lebenden Menschen beschlagnahmen mehr Arbeitsplätze als man denkt. Die Dunkelziffer aber ist garantiert viel größer als man sich vorstellen kann ... Es ist an der Zeit zu handeln." So um- und unverständlich dieser Text, so klar die xenophobe Botschaft, die daraus spricht. Da muss man Angela Merkel dann doch wieder Recht geben, dass sie sich für so etwas keine Zeit nimmt. Es gibt tatsächlich Wichtigeres.
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