Wir können auch locker! rufen verzweifelt die beiden großen öffentlich-rechtlichen Sender nun also an jedem ihrer Fußballabende. Bei der ARD heißt die Post-Ludem-Talkshow Waldis WM-Club, beim ZDF Nachgetreten!. Locker ist im Moment immer gut: Endlich dürfen wir nationale Begeisterung demonstrieren, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, hört man alle Medien laut aufseufzen. Der depressiven Phase folgt jetzt die manische auf raschem Fuße.
Mit demselben Thema: In Waldis WM-Club - Slogan: "I red bloß drüber" - soll ein Gast nach dem anderen bestätigen, dass da nix Schlimmes bei ist, wenn sich das Land beflaggt und "Deutschland! Deutschland!"-Rufe tausendfach erschallen. Der Münchner Kabarettist Michael Mittermeier meinte dazu in der lustig, aber dennoch expertisch angelegten Gesprächsrunde: "Fahnenschwenken hat mit Nationalismus nichts zu tun". Mit was denn dann? fragt sich der Zuschauer, verunsichert auch darüber, dass derartige Statements so regelrecht abgefragt werden.
Und noch andere Fragen bleiben offen: Wen meinte eigentlich Paul Breitner, als er über den "gemeinen Jugo" und dessen Spielmoral schwadronierte? Und welchen "Mist" war er froh, gerade vollständig vergessen zu können (wofür es viel Applaus gab)? "Die Realität holt uns eh wieder ein", sprach Breitner weise, bevor er Hartmann erklärte, was 1974 - neben der WM - in Deutschland noch so los war (zum Glück sind die Miesmacher diesmal rein rhetorisch präsent). Es stimmt offenbar, was "Waldi" auf die Frage, wie er all die Fußballnamen, Fußballdaten, Fußballsonstwas im Kopf behalten könne, antwortete: Indem "ich alles andere da raus nehme".
Ähnlich prall gefüllt und dennoch leer wirkt die gesamte Sendung. Sie gibt sich fürchterlich betriebsam, ohne tatsächliche Inhalte welcher Art auch immer zu bieten. Einige Gäste wittern deshalb nicht zu Unrecht die Chance auf Ego-PR. Florian Langenscheidt etwa war da, um für sein Buch Das Beste an Deutschland zu werben, indem er ein erneutes, biederes Glaubensbekenntnis an das Land ablegte. Zum Glück ging Moderator Hartmann darüber einfach hinweg. Er zeigte lieber einen der zahlreichen einfallslosen Einspieler, die mal die Nachrichten des Tages zusammenfassen, ein andermal sich einen Spaß damit machen, wenn Bild und Text des Filmchens nicht zusammenpassen. So fingiert man gleichsam die Live-Schaltungen, die schon in der ernsthaften Berichterstattung - wo sie immerhin unumgänglich sind - eher stören, weil ihnen umstandslos jeder Gesprächsfluss geopfert wird. Man hält das für zeitgemäß.
Nachgetreten! beim ZDF ist ganz ähnlich hektisch. Für die lockere Nachspielzeit hat man Ingolf Lück eingekauft, der ja gerne daran scheitert, über die Klischees hinaus zu denken. Auch er hat jedes Mal ein paar Gäste - hier vornehmlich Kabarettisten - geladen, die sich Szenen aus aktuellen Spielen suchen und auswendig gelernte Sätze dazu zum Besten geben. Wenn es um Italiener geht, ist also von der Mafia die Rede; von Brasiliens Bergen schwärmt der Off-Text, während große Brüste im Bild herumwackeln; Maradona wird als "Jubelschwuchtel" tituliert, der Name des Spielers Kaká wie "Kacka" ausgesprochen. Der Monolog eines Oliver-Kahn-Doubles beim Defäkieren bildet schließlich den Höhepunkt dieses peinigenden Abends des ordentlich schlechten Afterhumors.
Zudem: Beinahe keine der verkrampften Pointen hat überhaupt noch mit der Realität zu tun, die in diesen Tagen doch, wie man dachte, genug Material bietet. Aus Beckenbauers Empfehlung, ein jeder möchte sich Deutschland aus dem Hubschrauber ansehen und erkennen, wie schön unser Land sei, weiß keiner der Berufs-Witzfiguren etwas annähernd Komisches zu gewinnen. Stattdessen grölt man - indem man schlicht und schlecht fingiert - das alte Lied vom männlich-dummen Fußballprofi: Man zeigt Podolski, wie er sich mit dem Trikot übers Gesicht wischt und behauptet im Off-Text, er hätte hineingeschneuzt und das Ergebnis davon dann im Gesicht verteilt; man zeigt Mertesacker beim Schuhebinden, während der Off-Text behauptet, er könne "seit gestern alleine eine Schleife machen". Und weiterhin zeigt man statt guter Gags: Aufnahmen aus einer Pressekonferenz, um einen ausländischen Reporter, der redundant und mit Akzent seine Frage stellte, als unverständlichen Wirrkopf zu denunzieren. Das also finden Ingolf Lück und seine Kollegen witzig.
Nur über eine macht sich weder "Waldi" noch Lück lustig, obwohl sie immer wieder im Bild ist. Diese eine heißt Angela Merkel und ist die deutsche Bundeskanzlerin. Zu sehen ist sie nicht als Opfer der typischen Comedy-Schadenfreude, sondern als eine, die mit positivem Beispiel voran geht: So freut sich Deutschland, so fiebert Deutschland, so lacht Deutschland. Weil das alles so schön ist, darf man keine Witze über Angie und die WM und schon gar keine über Deutschland machen. Bleiben eben nur die berühmten Anderen, die, wie sagte es Florian Langenscheidt so schön: "eine Bereicherung für diese WM" seien. Wenn sie nur alle bald nach Hause fahren und uns hier schön alleine Weltmeister sein lassen.
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