Die Kritik an Google will nicht enden: Gegen das Einscannen und Digitalisieren von Büchern (google book search) klagten US-amerikanische Verleger und Autorenvereinigungen, deutsche Bibliotheken wollen ohnehin nicht mitmachen; auch die World Association of Newspapers, der internationale Verband der Zeitungsverleger, liegt im Clinch mit dem Suchmaschinenbetreiber, weil die Medienmacher nicht einsehen, dass Google kostenlos die - von ihnen schließlich bezahlten - Inhalte nutzt. Der Betreiber eines Erotikportals protestierte ebenfalls gegen die Wiedergabe seiner Bilder in der Google-Ergebnisliste. Als Argument dient ein ums andere Mal das Urheberrecht, das keinen anderen Zweck hat als eben den: Autoren einen Verdienst an ihren Werken zu sichern.
Der Begriff des geistigen Eigentums entstand um 1800, nachdem sich - dank des technischen Fortschritts im Druckereiwesen - das Nachdrucken von Büchern als einträgliche Sache erwiesen hatte. Die Nachdrucker argumentierten, sie hätten das Recht dazu durch den Kauf eines Exemplars erworben. Was weder den Autoren noch den Erstverlegern passte. Eine "Rechtsdichtung" wurde also nötig, die "jeden Abdruck der Gedanken noch für Vertreter der Persönlichkeit des Verfassers gelten läßt", wie der Jurist Johann Nikolaus Friedrich Brauer kommentierte, der das entsprechende Gesetz ins Badische Landrecht (1810) einführte. Ähnlich argumentierte Johann Gottlieb Fichte in seinem Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (1793). Darin heißt es: Der Schriftsteller "kann durch die Bekanntmachung seiner Gedanken gar nicht Willens seyn, auch die Form gemein zu machen: denn niemand kann seine Gedanken sich zueignen, ohne dadurch, dass er ihre Form verändere: Die letztere also bleibt auf immer sein ausschliessendes Eigenthum."
Kaum 200 Jahre später zerfällt die Rechtsdichtung langsam, das metaphorische Potential der "fictio juris" scheint aufgebraucht. Denn wieder tritt ein neues Medium auf den Plan, das die Wörter und Zahlen endlich völlig loslöst von der Materialität ihrer Form: Im 20.Jahrhundert kam schließlich auch das Papier aus der Mode. Daten brauchen zwar noch ihre Träger, doch flottieren sie in Sekundenschnelle um die ganze Welt.
Was man dem Buch gut glauben konnte, daran mangelt dem, was auf dem Bildschirm erscheint und spurlos wieder verschwindet: Ein origineller Ursprung ist aus diesen Virtualitäten kaum mehr herauszulesen, handfest und greifbar ist da gar nichts mehr. Deshalb wird das Echte und Einzigartige immer rastloser repräsentiert, die Medien stellen selbst die entsprechenden Authentizitäts-Placebos und Subjekt-Simulationen bereit. In chronologischer Reihenfolge sind das: Talkshows, Doku-Soaps, Blogs, Community-Portale. Die Zeit der Chatrooms, in denen man sich unbekannt war und das meist auch bleiben wollte, und die von Fakes, erfundenen Identitäten also, bevölkert wurden, scheint vorüber. Gerade im World Wide Web gibt es mittlerweile einen unübersehbaren Trend zur Preisgabe persönlicher Daten. Denn als moralisch wertvoll gilt heute allein das Private - da spricht sie sich aus, die Wahrheit des Menschen, da ist der Mensch noch Mensch.
Bei friendster.com erfährt man deshalb ohne Probleme, wo Susi Mustermann wohnt, wie sie im Bikini aussieht (oder auch ohne), welche CD sie gerade eingelegt hat und mit wem sie sich morgen treffen wird. Ist sie Mitglied von plazes.com, kann man zudem herausfinden, wo sie sich gerade aufhält. "Follow your friends with our People Radar or the Trazes function", erklärt das Programm seine Möglichkeiten. Wer lügt (solange er noch kann: GPS lässt sich kaum austricksen), wird ausgeschlossen, denn die private Offenheit ist die einzige Währung der so genannten Social Software, und das Intime gilt mithin als absolute, weil natürlichste Wahrheit. Der bloße Körper bleibt als Rest zurück, wenn seine Daten auf die Reise gehen.
Die Gefahr dieser Ablösung der Repräsentation vom Menschen benannten die Juristen Louis D. Brandeis und Samuel D. Warren. Ihr 1890 in der Harvard Law Review veröffentlichter Aufsatz zählt zu den Grundlagen des Persönlichkeitsrechts sowie der Datenschutzgesetze - das deutsche Verfassungsgericht stützte sich auch auf ihn, als es 1983 den Kritikern der Volkszählung recht gab. Warren und Brandeis prägten den Begriff des "right to be let alone": "Das Gesetz sichert jedem Individuum das Recht zu, grundsätzlich zu bestimmen, in welchem Ausmaß seine Gedanken, Gefühle und Empfindungen anderen mitgeteilt werden", schrieben sie. In Deutschland hat heute jeder das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung".
Just das ist allerdings die Lücke, die das ohnehin oft zweifelhafte Gebaren der Datenerheber rechtfertigt: Der Gebrauch persönlicher Daten unterliegt strengsten Bestimmungen, doch sobald der Betroffene in deren Weiterverwendung einwilligt, ist der gesetzliche Schutz gelockert. Das beruht auf dem schönen Grundsatz, dass Menschen wissen, was sie tun. Allerdings lässt sich damit kaum erklären, dass nur 20 Jahre nach dem stürmischen Aufstand gegen die Volkszählung Millionen Mündige ihre Daten freiwillig zu allerlei Zwecken zur Verfügung stellen. Ganz von selbst ordnen sie sich nach Zielgruppen und erstellen mittels Schlagwörtern in Eigenarbeit auch gleich die Raster für die kommerzielle Fahndung. Passend dazu treiben die Social-Software-Portale eine Re-Zentralisierung persönlicher Informationen voran, wie etwa flickr.com, das private Bilder auf seinen Servern speichert, oder del.icio.us, das Lesezeichen-Sammlungen seiner User bei sich ablegt.
Das Interesse großer Firmen ließ nicht lange auf sich warten. Das Portal Blogger, gegründet 1999, wurde 2003 von Google aufgekauft, im Editorial von Blogger heißt es dazu: "2002 lief es wieder ganz gut. Wir hatten Hunderttausende von Nutzern ... Und dann ist etwas völlig Unerwartetes passiert: Google wollte uns übernehmen. Ja, wirklich Google. Wir mochten Google sehr. Und Google mochte blogs. Deshalb waren wir offen für die Idee. Das hat prima funktioniert."
Google mag also Blogs. Und Konkurrent Yahoo mag offenbar Bilder, kaufte die Firma doch erst im vergangenen Jahr das Portal flickr.com. 580 Millionen Dollar soll der Medienunternehmer Rupert Murdoch für MySpace.com gezahlt haben - mittlerweile haben sich dort fast 60 Millionen Mitglieder registriert. Eine Marktforschungs-Agentur bräuchte vermutlich Jahre, um diese Menge Daten zu ermitteln. Ein feiner, kleiner Film im Internet (http://media.aperto.de/google_epic2015_de.html) malt das Menetekel einer Fusion von Amazon und Google zu "Googlezon" aus und spricht von einer totalen Kommerzialisierung des Kontakts. Abwegig ist das nicht.
Die einen lockt man mit einer kostenlosen Plattform für die authentische Darstellung ihres Ichs und der Chance auf Kontakte; die anderen mit der schlichten Geilheit des Geizes. Das nennt sich dann "Happy Digits" oder "Payback". Was beide Varianten eint: Man zahlt nicht nur mit seinem guten Namen, sondern zudem mit seinem Geburtsdatum, seiner Telefonnummer, seinen Vorlieben und so weiter.
In einem Interview mit der Branchen-Zeitschrift Werben Verkaufen schwärmte Alexander Rittweger, der Geschäftsführer der Firma Loyalty Partner, die die Daten verwaltet, von seiner Erfindung namens Payback: "Wir wissen natürlich, wer hat was wann gekauft. Hat der Kunde mehr Cola gekauft, weil diese billiger wurde, oder nicht? ... Wenn wir sehen, dass eine kleine Familie bestimmte Produkte nicht kauft, weil die Packung zu groß ist, gucken wir, wie umfangreich dieses Kundensegment ist, und ändern eventuell die Packungsgröße. Dazu sind wir mit unseren Data-Minern in der Lage. Denn das gehört zu den wesentlichen Kernfunktionen von Payback." Später widersprach die Firma diesen Aussagen. Rittweger träumt derweil, dass aus seiner Kundenkarte eine "Kreditkarte für alle" wird.
Auch Googles Datenschutzbestimmungen sind missverständlich. Einerseits sammle man keine personalisierten Daten, heißt es, andererseits speichert die Firma nach eigenen Angaben "Informationen wie Tageszeit, Browser-Typ, Browser-Sprache und IP-Adresse" und "kann sich Informationen über Sie mit Werbekunden, Geschäftspartnern, Sponsoren und anderen Dritten teilen". Böse Zungen unken, dass die Userdaten für Google eine "stille Kapitalreserve" darstellten - falls es dem Unternehmen irgendwann nicht mehr so gut gehen sollte, ließe sich per Verkauf aus diesen Informationen ein schöner Wert schöpfen.
So lösen sie sich ab, die Daten von den Menschen: Vor allem bei Kreditunternehmen setzt sich mehr und mehr das so genannte Scoring durch. Anhand von Alter, Beruf, Wohnort, Stadtviertel wird ein Wert errechnet, der über die Kreditwürdigkeit des Kunden Auskunft geben soll - von Sonderfalleinschätzung keine Spur, individuelle Abweichungen erscheinen gar nicht erst, weil niemand danach fragt; der Einzelne hat keinen Einfluss auf die Daten, die man von ihm erhebt, geschweige denn ein Recht daran.
"Um die Einhaltung des Urheberrechts kontrollieren zu können, müssen wir die Pageviews unserer Nutzer aufzeichnen", heißt es in den FAQs der Google Book Search. Das formuliert perfekt die Crux: Wer an der Demokratisierung der Information - deren sich im Übrigen schon die Nachdrucker des 18. Jahrhunderts rühmten - teilhaben will, der muss auch sich selbst in verwertbarer Form beisteuern. So verlieren die Urheber nach und nach die Rechte an ihren "Gedanken" und deren "Form" - seien es nun Schriftsteller an ihren Bücher oder Menschen an ihren Konsumgewohnheiten. Der Link gilt als neue Variante des Zitats - und partizipiert deshalb an dessen Legalität. Der Begriff des Autors wiederum löst sich von dem des Menschen, heute sorgen Algorithmen für die Inhalte, die Übertragung per se rechtfertigt Besitzverhältnisse - nicht nur bei Suchmaschinen, sondern neuerdings auch bei Kabelnetzbetreibern, die von Google und anderen Bereitstellern Gebühren fordern wollen. So wird nur eines klar: Google ist mithin ganz und gar keine Suchmaschine. Sondern der größte Content-Verwalter aller Zeiten. Was bei Google nicht vorkommt, existiert nicht. Doch zum Glück weiß Google ja, was mir gefällt.
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