Der Weg zurück

Medienkolumne Ein einsamer Ermittler, ein Patriarch mit Cowboy-Hut und die hessische Provinz als Ort der Gesetzlosigkeit: die "Tatort"-Folge "Neuland" spielt mit dem Genre des Western

So viel Neues wie im vergangenen Jahr gab es wohl noch nie beim Tatort. Gleich drei neue Ermittlerteams traten 2008 ihren Dienst an: in Leipzig, Hamburg und Stuttgart . Und während jeweils brav versucht wurde, auch gleich die Inhalte und Figuren (mal mehr, mal weniger) zu modernisieren, erinnerte an diesem Sonntag der Hessen-Tatort namens „Neuland“ an die Tradition des Formats. Kommissarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki), die im Dezember hatte allein ermitteln müssen, war gerade auf Fortbildung, ihr Kollege Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) diesmal also seinerseits ohne Unterstützung unterwegs. An sich schon ein Tatort-Klassiker, denn mit männlichen Einzelkämpfern hatte die Reihe einst begonnen – von Frauen, Teamarbeit, flachen Hierarchien und ähnlichen vermeintlichen Errungenschaften der zeitgenössischen Arbeitswelt war in den 1970ern nicht viel zu sehen. Und natürlich musste man an Schimanskis eigenwillige Methoden denken, wenn der Frankfurter Kriminalhauptkommissar zu Beginn eine Kollegin mit einem „Leck mich doch am Arsch!“ stehen ließ und danach einen festgenommenen Neonazi mit einem Kopfstoß zu Boden streckte.

Dellwo hat sichtlich die Schnauze voll, deswegen setzt er sich in seinen Oldtimer (einen BMW aus der 02er-Serie, die Mitte der 1970er vom Band lief), dreht Jimi Hendrix’ All along the Watchtower auf und fährt („There must be some kind of way out of here“) in die eigene Vergangenheit, zu seiner früheren Liebe Katrin, die sich mit Mann und zwei Kindern als Öko-Landwirtin abmüht.
Wo das Dellwo bekannte und gleichsam von ihm beschützte (oder sollte man gar sagen: „zivilisierte“) Territorium endet, da beginnt der Western. Wie dieser Film seine Geschichte vom einsamen Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen die eingeschworene Gemeinschaft medial reflektierte, das ist schön anzusehen: Plötzlich befinden wir uns irgendwo im hessischen Hinterland, in einem dieser einsam-idyllischen Dörfer, wie sie wohl nur das Fernsehen kennt, wenn es wieder einmal die Abgründe hinter den schönen Landschaftskulissen vorführen möchte; die Sonne brennt heiß, das Getreide steht goldgelb und hoch, dürres Stroh weht über den Asphalt; die Töne einer Mundharmonika erklingen, wir sehen eine starke, schöne, aber unglückliche Frau, einen Dorf-Polizisten als Trinker ohne Autorität und den örtlichen Großgrundbesitzer, ein Patriarch mit Cowboy-Hut.

Diese Reminiszenzen an alte Kino- und Tatort-Semantiken bleiben freilich bloße Zitate, Dellwo bekommt letztlich doch die halb-offizielle Erlaubnis zur Amtshilfe und findet im Dorf-Sheriff einen lernwilligen, jedoch kritischen Gehilfen. Seine Waffe erhält er nicht erst am Ende zurück, sondern bereits in Minute 50. Gegen die Flinten, mit denen bald eifrig herumgewedelt wird, erscheint sie ohnehin seltsam fehl am Platz, geradezu unzeitgemäß in ihrer smarten Handlichkeit und schwarz verschalten Funktionalität.

Dieser Tatort ist eben kein Western, sondern tut nur ein bisschen so. Weil er weiß, dass die Geschichten über die Einführung von Recht und Ordnung immer schon Legenden waren, die weniger gelebt als vielmehr gut erzählt werden wollen. Der Zweck ist ohnehin derselbe: Dem Gesetz wird Genüge getan. Auch wenn es dabei nicht immer juristisch einwandfrei zur Sache geht; was legitim ist, ist eben noch lange nicht legal: Das ist die Differenz, mit der der Tatort groß geworden ist.

Katrin Schuster, Jahrgang 1976, ist Medien- und Literaturkritikerin und seit 2005 Freitag-Autorin. Sie lebt in München

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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