Die Frau kenne ich doch

Spam-Kolumne Selbstgespräch als Blondine: Wie sich bei Spam-Mails Wirklichkeit und Fiktion ziemlich krude überschneiden

Die Namen, die sich die Absender von Spam-E-Mails geben, sind meist schon für sich betrachtet kleine Kunstwerke. Nicht nur wegen der Ungewöhnlichkeit der Kombinationen, sondern auch, weil ihr Bemühen, wahrgenommen zu werden, eindrucksvoll die Ordnungen der digitalen Post widerspiegelt.

Wer seinen Posteingang zum Beispiel alphabetisch listen lässt, der wird dank der Spammer erfahren, wie unvergleichlich viele von deren Absender-Vornamen mit dem Buchstaben A anfangen, um möglichst weit oben in der Liste zu landen: Abel, Adamo, Agamemnon, Augustin, Ahmed, Albert, Aldus, Alexander, Alfonso und so weiter. Andere dagegen verhalten sich genau entgegengesetzt, wählen also vorwiegend Allerweltsnamen wie etwa Barbara, Charlotte, Kerstin, Diana und so weiter – in der (nicht unberechtigten) Hoffnung, der Empfänger werde jemanden dieses Namens kennen und deswegen die Mail öffnen.

Allerdings funktioniert weder die Männer-mit-A- noch die Die-Frau-kenne-ich-doch-Methode einwandfrei. Deswegen erhält man neuerdings Spams, deren Absender sich schlichtweg „me“ nennt und tatsächlich meine eigene E-Mail-Adresse angibt. Und was will ich von mir? Im Betreff steht „Hey Süße“ oder „Lass uns reden“ oder „Wieso gehst Du nicht ans Telefon?“. Das sind tatsächlich Sätze, die ich so von mir noch nie gehört habe. Und wohl auch niemals die Chance haben werde, mir gegenüber auszusprechen, sofern ich weiterhin an sinnvoller Kommunikation mit mir Interesse habe.

In der Mail selbst findet sich das Webcam-Foto einer jugendlichen Blondine mit gespitzten Lippen und Herzchenanhänger an der Halskette. Darüber steht, dass sie mich „in real“ treffen will und dass das ihr „real photo“ sei. Immerhin wird die E-Mail-Adresse, die darunter steht, nicht auch noch als ihre „real“ E-Mail-Adresse bezeichnet, das wäre wirklich zu viel des Echten, vor allem in einem digitalen Selbstgespräch!

So charakterisiert diese Mail, indem sie den semantischen Überschuss der Kommunikation zwischen Ich und Ich als Blondine mit zweifelhaftem Verständnis von der Realität enttarnt, vielleicht treffender als mir lieb sein kann, was passiert, wenn ich das Wort an mich selbst richte. Da überschneiden sich Wirklichkeit und Fiktion nämlich ebenfalls ziemlich krude, und da kann es durchaus passieren, dass ich mich von einer süßen Blondine begehrt wähne – und viel zu spät merke, dass ich tatsächlich nur mit mit selbst geprochen habe. Ist immer wieder eine herbe Enttäuschung, diese Entdeckung. Und sollte das dann auch noch pathologisch werden, nennt man es üblicherweise Schizophrenie.

Doch soweit wollen wir hier selbstredend gar nicht gehen. Denn immerhin lässt mir der Me-Spam ja die Wahl: zwischen dem Klick auf die Antwortentaste, um den Monodialog mit mir fortzuführen, und dem Klick auf die E-Mail-Adresse der Blondine, um mit wem auch immer ins Gespräch zu kommen. Und andererseits könnte ich die Mail auch einfach löschen – in der Hoffnung, dass ich ich bald mal wieder Nachricht von mir erhalte. Und das wird, denn die Frau kenne ich doch, sicher nicht allzu lange auf sich warten lassen.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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