Die schüchterne Mandy

Medientagebuch Was begegnet einem in einsamen Nächten vor dem Fernseher? Telefonsexwerbung – eine Branche, die sich heutzutage zu Produktinformationen versachlicht hat

Der Ton ist sachlicher geworden. Wo in einstigen Fernsehnächten glockenhelle Frauenstimmen fröhlich „Nulleinhundertneunzig, einszweidrei, einszweidrei“ trällerten, sagen die Damen die Nummern heute ziemlich nüchtern auf, eingeleitet von dem Befehl „Wähle“ oder „Sende“ – als handele es sich nicht um Werbung für Telefonsex, sondern um den Homeshopping-Kanal. Darauf deutet auch die vorgeblich vielfältige Auswahl hin: für die schüchterne Mandy sende „D11“ an 55055, für die hemmungslose Heike „D12“, für Spaß von hinten „D13“.

Es scheint ratsam zu sein, Zettel und Stift zur Hand zu haben, will man sein nächtliches Anliegen zielgerichtet umsetzen und nicht die diversen Ziffernkombinationen schon vergessen haben, wenn die grotesken Ballonbrüste der Manga-Mädchen im Anschluss dazu auffordern, „E1“ oder „F4“ an 50600 zu senden. Oder „Livegirl“ Jenny erklärt, man solle erst die 09005-100140 wählen, dann nach „Chiffre 69“ verlangen und schließlich ihren Namen nennen. Manche Studien wollen bewiesen haben, dass heterosexuelle Männerhirne von nackten Frauenkörpern derart verwirrt werden, dass sie nichts anderes als diese im Kopf behalten können. Dass für Telefonsex überhaupt erfolgreich Werbung gemacht werden kann, darf also durchaus als kleines Wunder angesehen werden.

Ob die Inserenten über solche Studien Bescheid wissen? In manchen Nächten vor dem Fernseher muss man sich jedenfalls sehr wundern, wie angezogen die Menschen in vielen dieser Spots daherkommen, obwohl oder eben weil sie für nichts anderes als Sex werben. Die Seitensprung-Community „Abenteuer18“ zum Beispiel (die auf anderen Sendern unter „Romanze18“ oder „Erlebnis18“ firmiert) mag ein unmoralisches Angebot unterbreiten, besteht deshalb aber umso vehementer auf die eigene Seriosität. Mit banalen Mitteln, klar: Da stehen abwechselnd ein Mann im Anzug und eine Frau in bravem, wenn auch über dem Busen etwas spannendem Blüschen vor einer weißen Wand, jeden Satz, den er beginnt, vollendet sie; er hat nur ein bisschen Hunger, aber sie reicht den sündigen Apfel. Er: „Abenteuer18.de ist ein Treffpunkt im Internet für Frauen und Männer, die in einer Partnerschaft leben“, sie: „und auf der Suche nach einem erotischen Abenteuer sind.“ Er: „Beziehungen ändern sich im Laufe der Zeit“, sie: „und sexuelle Bedürfnisse werden dabei oft vernachlässigt.“ Er: „Wenn auch Sie auf der Suche nach einem erotischen Abenteuer sind“, sie: „dann kommen Sie zu Abenteuer18.de.“

User Generated Content

Und wen weder ein Ziffernverhau noch ordentliche Klamotten von der Glaubwürdigkeit, Intimität und Exklusivität des jeweiligen Angebots überzeugen, dem bleiben immerhin noch die „Frauen aus Deiner Umgebung“ – wobei unklar ist, ob dieser Hinweis auf die Möglichkeit eines Treffens zielt oder doch bloß auf den preiswerten Ortstarif. Vor allem meint diese Formulierung wohl das aktuelle Lieblingswort der Sexspots, das natürlich nur einen Modebegriff der Kultur aufgreift: nach Laien oder Amateuren begehrt es nicht nur die Medien, sondern auch die Tele-Selbstbefriediger.

Deshalb wird des nächtens am liebsten mit dem User Generated Content, etwa von schlafzimmer.tv, geworben, schließlich hat die Sex-Industrie die Rede von der Authentizität als Marketingmethode entdeckt. Noch näher als jene „Frauen aus Deiner Umgebung“ kommt einem nur jene Dame, die ihre Brüste so arg auf die Kameralinse presst, dass der heimische Bildschirm zu zerspringen droht. Die sieht man aber mittlerweile nicht mehr so oft.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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